Theater- und Dramatherapie: Vom Mut sich selbst zu zeigen
Ein Weg kann die Theater- und Dramatherapie sein, mit der sich Lutz Potthoff als Therapeut wie auch als Dozent bei campus naturalis befasst. Als ausgebildeter Schauspieler, der selbst knapp 20 Jahre aus der Bühne stand, weiß er, welche Kraft hinter dieser kreativen Therapiemethode steckt.
Im Gespräch verrät er, welche Perspektiven sich durch die Theater- und Dramatherapie eröffnen und worin der Unterschied zur klassischen Schauspielerei liegt.
Das Gespräch mit Lutz Potthoff wurde geführt und aufgeschrieben von Wiebke Semm.
Das ausdrücken, was uns tief innerlich bewegt, das uns sorgt, traurig oder auch zutiefst glücklich macht. Wenn Gespräche nicht mehr ausreichen oder wir mit Worten unsere Emotionen nicht mehr beschreiben können, müssen andere Wege gefunden werden.
Viele empfinden ein Theaterstück erst dann als wirklich gelungen, wenn es möglichst authentisch ist. Die Zuschauer*innen mögen es, sich selbst mit den gezeigten Charakteren identifizieren zu können oder diese zumindest als „echt“ zu erleben. Zwei Jahrzehnte lang schlüpfte Lutz Potthoff mit Begeisterung in die verschiedensten Rollen, erreichte an der Landesbühne in Sachsen-Anhalt sogar den Status der Unkündbarkeit.
Und doch gab es da etwas, das ihn noch mehr reizte. „Ich hatte am Theater mit Menschen Kontakt, die Theater- und Dramatherapie machten. Als ich dann deren Arbeiten gesehen habe, u.a. eine Inszenierung mit straffällig gewordenen Jugendlichen, war ich unglaublich fasziniert.“ Das Besondere an der Darbietung: Die Jugendlichen spielten nicht irgendeine Rolle, sondern erzählten ihre eigene Geschichte. „Das war es, was es so authentisch machte“, schlussfolgert Lutz Potthoff. Überzeugt von dem Gedanken, seine Karriere in eine neue Richtung zu lenken, schrieb er sich für die Ausbildung zum Theater- und Dramatherapeut bei campus naturalis in Leipzig ein und absolvierte die amtsärztliche Überprüfung zum Heilpraktiker im Jahr 2018.
Was ist die Theater- und Dramatherapie?
Die Theater- und Dramatherapie nutzt die Kraft der Inszenierung, um Patient*innen wieder in Kontakt mit sich selbst zu bringen. Dabei dient der eigene Körper gewissermaßen als Schlüssel zur Heilung. Der körperliche Ausdruck ermöglicht es:
- Gefühle intensiv zu erleben
- Emotionen zuzulassen
- und diese ggf. sogar auf der Bühne zu präsentieren.
Als kreative Therapieform kommt beim Theater alles zusammen: Kunst, Musik und auch Tanz. Auf diese Weise wird den Patient*innen größtmögliche Freiheit geboten, mit belastenden Situationen oder Emotionen umzugehen.
„Viele denken fälschlicherweise, dass Die Theater- und Dramatherapie etwas mit professioneller Schauspielerei zu tun hätte. Das ist aber Quatsch, es geht darum, neue Perspektiven zu öffnen“, erklärt Lutz Potthoff. Durch das Spielen und Hineinversetzen in die eigene Rolle oder die des Gegenübers kann der Konflikt in einem vollkommen neuen Licht betrachtet werden. Zusätzlich bietet die Theater- und Dramatherapie eine gute Möglichkeit, um:
- über seine Grenzen hinauszugehen
- Neue Ressourcen zu entdecken
- Und über sich hinauszuwachsen
„Sich mit dem Leben auseinandersetzen, es von verschiedenen Seiten zu beleuchten und neue Horizonte zu eröffnen, das ist das Wichtige dabei“, bringt es Lutz Potthoff auf den Punkt. In seiner Theatergruppe in Mecklenburg-Vorpommern, die er seit drei Jahren leitet, begegnet er Menschen aus den unterschiedlichsten beruflichen Disziplinen. Und doch haben alle eine Sache gemeinsam: „Ich merke immer wieder, wie die Teilnehmer*innen aus sich herausgehen, wie sie ihre eigenen Grenzen erweitern und wie befreit und glücklich sie nach zwei Stunden auseinandergehen.“
Theater- und Dramatherapie: Den eigenen Berufswunsch verwirklichen
Rückblickend kann sich Lutz Potthoff noch ganz genau an den Moment erinnern, der seine Entscheidung, als Theater- und Dramatherapeut zu arbeiten, manifestierte. Im Rahmen seiner Ausbildung bei der Akademie hatte er die Möglichkeit, ein umfangreiches Praktikum bei der Schwulenberatung in Berlin zu machen. Dort arbeitete er in einem Altenwohnheim, das fast ausschließlich von älteren schwulen Männern und auch Lesben bewohnt wird. Diese deutschlandweit einzigartige Einrichtung bietet den Einwohner*innen u.a. die Möglichkeit, an Theaterprojekten teilzunehmen. „Dort habe ich mit Menschen unterschiedlichsten Couleur zusammengearbeitet: Ältere Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Neigung immer noch gemobbt werden, hochgradig depressive Menschen, wie auch solche, die an AIDS erkrankt waren“, erzählt Lutz Potthoff. „Das war eine unglaublich tolle Erfahrung und die Bestätigung, dass mein Berufswunsch absolut richtig war.“ Die Erfahrungen, die der damals angehende Theater- und Dramatherapeut in Berlin machte, waren für ihn Anlass, um in seiner späteren Privatpraxis gezielt mit homosexuellen Menschen zu arbeiten. „Diese marginalisierte Gruppe ist immer wieder auf Neue gefordert, ihre eigene Identität zu artikulieren. Ihr tiefster Wunsch ist es, von der Gesellschaft vorbehaltlos anerkannt zu werden“, gibt der Heilpraktiker zu bedenken. Umso schwerer fällt es diesen Menschen, sich an die Öffentlichkeit zu wagen und bemerkbar zu machen. Die Angst vor Ablehnung und Diskriminierung ist zu groß. „Man kann sich vorstellen, welche Kraft freigesetzt wird, wenn eine ganze Gruppe solcher Menschen zusammen an einer Geschichte arbeitet und diese letztendlich auf der Bühne zeigt. Das erfordert unglaublich viel Mut.“
Vom Opfer zum Täter: Die psychotherapeutische Gewaltberatung
Einen ganz neuen Blick auf seine Arbeit als Heilpraktiker für Psychotherapie erlangte Lutz Potthoff durch seine neue Position in der Gewaltberatung Tätertherapie im Kreisdiakonischen Werk im Landkreis Rostock. „Deutschland verfügt glücklicherweise über ein gutes Netzwerk von Institutionen, die sich um häusliche Gewalt kümmern – wie etwa:
- Frauenhäuser
- Interventionsstellen
- Und Beratungseinrichtungen
„Wenn es aber um die Beratung von Tätern geht, haben wir in Mecklenburg-Vorpommern gerade einmal zwei Gewaltberater“, kontrastiert er. Bei der Gewaltberatung arbeitet Lutz Potthoff therapeutisch mit Männern, die ihre Frauen schlagen, sie misshandeln oder vergewaltigen. „Für viele ist das ein Punkt, an dem sich gewundert wird, warum ausgerechnet solche Menschen nun therapeutische Unterstützung erhalten.“ Die Meinung, dass Straftäter keine Hilfe in diesem Sinne verdient hätten, begegnet Lutz Potthoff häufiger. „Viele haben zwar ein bestimmtes Weltbild und wollen anderen wertschätzend begegnen, doch bei dieser Gruppe Mensch hört es meist auf“, merkt er an. Auch im öffentlichen Diskurs gibt es immer wieder angeregte Diskussionen darüber, ob und in welchem Umfang diese Leute unterstützt werden können und sollten. „In meinem Verständnis kann es nicht sein, dass ich therapeutisch arbeite und gleichzeitig vorverurteile. Das ist gerade in diesem Berufsfeld mehr als wichtig.“ Schließlich sollte sich auch immer der konkrete Zweck einer therapeutischen Beratung von Gewalttätern vor Augen gehalten werden: „Nur die Täter sind es, die diesen Gewaltkreislauf dank umfassender therapeutischer Behandlung letztendlich abstellen können“, hält er fest.
Campus naturalis: Mit Wissen und Praxis erfolgreich durchstarten
Empathie, Achtsamkeit, Wertschätzung – mit diesen Begriffen wird heutzutage oft schon inflationär umgegangen. Die wenigsten aber machen sich die Mühe, diese Begrifflichkeiten genau zu definieren und die Bedeutung im therapeutischen Kontext herauszustellen. „Das hat mir bei Campus gut gefallen: es wird gemeinsam erarbeitet, um was es dabei wirklich geht und wie sich diese Weltanschauung auf meine Arbeit als zukünftige*r Therapeut*in übertragen lässt“, erinnert sich Lutz Potthoff zurück. Dass er heute so arbeiten kann, wie er es sich wünscht, hat er nicht zuletzt seiner Ausbildung bei campus naturalis zu verdanken. In ca. eineinhalb Jahren erlernen die Teilnehmenden in der Akademie:
- Die verschiedenen Grundlagen der Theater- und Dramatherapie
- Erfolgreiche Kommunikation und Gesprächsführung
- Und können ihr Wissen beim Praxistraining umsetzen
„Es gibt einige Dozent*innen bei Campus, von denen ich extrem viel gelernt habe, die mich geformt und geprägt haben. Mit manchen stehe ich auch heute noch in Kontakt und schöpfe aus ihren Lebenserfahrungen, wofür ich sehr dankbar bin.“