Die Wartezeiten auf einen Therapeuten ist in Deutschland deutlich zu lange
20 Wochen oder noch länger – das sind die durchschnittlichen Wartezeiten für einen Platz bei einem ausgebildeten und durch die Krankenkasse anerkannten Psychotherapeuten in Deutschland. Das ist das Ergebnis einer Befragung durch die Bundespsychotherapeutenkammer* . Ist das zu lange? Patienten, die dringend Hilfe benötigen sagen ganz klar ja. Experten stimmen den Betroffenen zu: In vielen Fällen sind diese Wartezeiten schlichtweg unzumutbar. Was sind die Gründe für diese langen Fristen? Welche Möglichkeiten gibt es für Patienten, die dringend einen Therapieplatz benötigen? Und wie steht die Politik zu diesem Thema?
1700 psychotherapeutische Praxissitze fehlen in Deutschland. Der BPtK-Präsident Dr. Dietrich Munz empfiehlt sogar 7000 neue kassenärztliche Psychotherapeuten. Vor allem in den ländlichen Gebieten sind die Wartezeiten auf einen Psychotherapeuten groß und die Wartelisten ellenlang. Mittlerweile fordert nicht nur der BPtK eine erneute Reform der veralteten Bedarfsplanung und Zulassungskriterien für kassenärztliche Psychotherapeuten. Immer mehr Politiker und Parteien setzen sich für das wachsende Problem ein. So fordert beispielsweise die Grünen-Gesundheitspolitikerin Maria Klein Schmeink konkrete Maßnahmen durch das Gesundheitsministerium. Besonders eine moderne und ausgereifte Bedarfsplanung steht im Mittelpunkt ihrer Forderungen.
Es werden immer mehr Psychotherapeuten benötigt
Seit 15 Jahren steigt der Bedarf an freien Therapieplätzen in der Psychotherapie stetig an. Eine Studie des Robert Koch Instituts belegt den Mangel mit konkreten Zahlen: Nur jeder fünfte Erkrankte erhält noch im gleichen Jahr professionelle Hilfe. Das sind 18,9 Prozent der Erkrankten. Seit 1998 haben sich diese Zahlen beinahe verdoppelt – ein klarer Hinweis darauf, dass die Tabuisierung von psychischen Erkrankungen zurückgeht und damit der Bedarf an professioneller Hilfe ansteigt. 2014 nahmen 1,25 Millionen Menschen einen Psychotherapeuten in Anspruch, während es 2004 noch etwa 840.000 waren, so die Ergebnisse der Befragungen der BPtK – das Problem ist die veraltete Bedarfsplanung der Praxen und Einrichtungen für psychotherapeutische Hilfe: Sie stammt noch aus dem Jahr 1999. Dazu kommt, dass es immer weniger Therapeuten gibt, die durch eine Krankenkasse anerkannt sind. Kein Wunder also, dass sich die Wartezeiten für temporäre sowie langfristige Betreuung bei einem Psychotherapeuten drastisch verlängert hat.
Kurzfristige Abhilfe durch Akutbehandlung
Seit einigen Jahren gibt es die sogenannte Akutbehandlung, die speziell für Menschen, die sich in einer schweren seelischen Krise befinden, eingerichtet worden ist. Die Hauptunterschiede zur regulären Behandlung sind folgende:
- Die Therapie kann ohne Probesitzung begonnen werden.
- 12-24 Therapieeinheiten sind möglich.
- Psychotherapie dieser Art muss nicht vorab von der Krankenkasse genehmigt werden.
Dadurch konnte besonders bei Patienten, die nicht auf eine Richtlinienpsychotherapie setzen können, die Wartezeit enorm verkürzt werden. Dennoch sind auch hier die Hilfsangebote nur begrenzt. Die Folge: Bei besonders schweren Fällen sind selbst diese Wartezeiten zu lange.
Psychotherapeutische Sprechstunden sollen bei langen Wartezeiten kurzfristig Linderung verschaffen
Ein weiteres Angebot, das ebenfalls ins Leben gerufen wurde, um die Situation zu entspannen, sind psychotherapeutische Sprechstunden. Mit der Reform der Psychotherapie-Richtlinien im Jahr 2017 wurden psychotherapeutische Praxen ganz klar zur Koordinations- und Anlaufstelle für Belastete. Mit der Einführung dieser Sprechstunden konnte die Wartezeit auf ein Erstgespräch mit einem anerkannten Psychotherapeuten von 12,5 Wochen auf durchschnittlich 5,7 Wochen verkürzt werden. Das Ziel war und ist es, eine kurzfristige Beratung für Patienten, die sich selbst nicht mehr helfen können, zu schaffen.
Was tun, wenn die Wartezeit auf einen Platz beim Psychotherapeuten zu lange ist?
Experten raten, sich grundsätzlich bei drei bis fünf Psychotherapeuten zu melden und sich dort auf die Warteliste setzen zu lassen. Dadurch vergrößert sich die Chance, schneller an einen freien Platz zu kommen. Wenden Sie sich auch an Ihre Krankenkasse und schildern Sie Ihren Fall. Oftmals verfügen die gesetzlichen Kassen über eine Terminservicestelle für dringende Fälle.
Private Psychotherapeuten besuchen
Ist auch mit diesen Maßnahmen kein freier Platz zu finden oder die Wartezeit astronomisch hoch, dann haben Sie die Möglichkeit einen privaten staatlich zugelassenen Psychotherapeuten, der im Regelfall für private Krankenkassenpatienten zuständig ist, zu besuchen. Laut § 13 Abs. 3 des Sozialgesetzbuchs V können Sie die Kosten für die selbstbeschafften Psychotherapie-Leistungen bei Ihrer Krankenkasse einfordern. Alle gesetzlichen Krankenkassen sind in diesen Fällen zur Kostenübernahme verpflichtet. Achten Sie dabei allerdings darauf, genau zu dokumentieren, welche Schritte Sie bei der Suche nach einem kassenärztlichen Therapeuten gegangen sind. Das Kostenerstattungsverfahren kann gegebenenfalls langwierig sein und die Behandlung muss zunächst selbst bezahlt werden.
Der letzte Ausweg: Öffentliche Beratungsstellen oder Kliniken
Oftmals sind auch die Wartezeiten bei einem privaten nicht-kassenärztlichen Psychotherapeut länger, als es der Gesundheit guttut. In diesem Fall gibt es noch diese weiteren Anlaufstellen:
- Beratungsstellen von Kommunen, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden für kurzfristige Einzelgespräche.
- Gruppentherapien bei ambulanten Therapeuten.
- Kliniken oder Tageskliniken, die entweder stationär oder ambulant über einen längeren Zeitraum hinweg behandeln.
Allerdings sind gerade Einzelsitzungen oder gelegentliche Gruppentherapien kein adäquater Ersatz für eine langfristige psychotherapeutische Betreuung.
Hilfe zur Selbsthilfe: Was können Sie konkret tun?
Durch den akuten Mangel an kassenärztlichen Psychotherapeuten und die langen Wartezeiten ergeben sich ganz neue Berufschancen für ausgebildete Fachkräfte in allen Bereichen der Psychotherapie. Ist beispielsweise ein Familienmitglied oder ein Bekannter von den langen Wartezeiten betroffen? Sie möchten helfen oder kennen die verfahrene Situation genau? An den campus naturalis-Akademien haben Sie die Möglichkeit, beispielsweise eine Weiterbildung für betriebliches Gesundheitsmanagement zu belegen. Mit diesem Kurs können Sie direkt am Arbeitsplatz präventiv aktiv sein – viele Arbeitgeber bezuschussen solche Fortbildungen.
Eine weitere Möglichkeit, um selbst aktiv zu werden, ist beispielsweise eine Ausbildung in der Kunsttherapie . Kreative Therapien, bei denen sich Patienten durch Malerei oder die Musik mit sich und ihrer Umwelt auseinandersetzen, sind heute enorm gefragt. Aber auch systemische Therapien, die das Individuum innerhalb seiner sozialen Beziehungen analysieren, sind auf dem Vormarsch. Absolvieren Sie beispielsweise innerhalb von nur einem Jahr die Ausbildung in der Systemischen Beratung und helfen Sie aktiv mit, die Situation für Betroffene zu entspannen.
Fazit: Es muss etwas passieren, um lange Wartezeiten bei Psychotherapeuten in Deutschland zu minimieren
Es herrscht also ganz klar Handlungsbedarf, um die Wartezeiten für eine psychotherapeutische Versorgung für alle Patienten wieder auf ein erträgliches Maß zu senken. Eine Förderung von Praxisneuansiedlungen und der gezielten Ausbildung von neuen Fachkräften im Bereich der Psychotherapie zusammen mit einer allumfassenden Reform des Systems wird schon lange von der Bundespsychotherapeutenkammer gefordert. Mittlerweile ist auch die Politik im Zugzwang – die Frage ist nur, wie lange es dauern wird, bis sich die Lage für alle Betroffenen entspannt.
* Quelle: Pressemitteilung Bundespsychotherapeutenkammer „Rund 20 Wochen Wartezeit auf psychotherapeutische Behandlung“
https://www.bptk.de/rund-20-wochen-wartezeit-auf-psychotherapeutische-behandlung/