Fachkräftemangel in der Pflege: Gibt es Lösungen für das Dilemma?
Es ist wohl der Albtraum jedes Familienmitglieds: Oma und Opa werden krank, sind auf dauerhafte Hilfe angewiesen und können nicht zu Hause gepflegt werden. Der einzige Ausweg ist dann oft eine Pflegeeinrichtung mit rundum Betreuung. Doch vielen dieser Heime fehlt es an Personal. Die Frage, ob unsere pflegebedürftigen Großeltern dort noch gut versorgt sind, drängt sich immer wieder auf. Nicht nur die Altenpflege ist von diesen Problemen betroffen, auch in Krankenhäusern sind PflegerInnen zunehmend Mangelware.
Durch die Medien geistern immer wieder riesige Zahlen. Das Wort „Pflegenotstand“ gehört mittlerweile zum Standardrepertoire. Viele Familien und Arbeitnehmer, die in der Pflege tätig sind, erleben tagtäglich was es heißt, in der Branche zu arbeiten. Zu wenig Kollegen, zu hohe Arbeitsbelastungen, zu wenig Zeit. Worin liegen diese Entwicklungen begründet? Welche möglichen Auswege aus der Pflege-Krise gibt es? Und was kann der Einzelne gegen den Fachkräftemangel in der Pflege tun?
Erschreckende Zahlen
Nicht erst seit gestern hängen erschreckende Zahlen bezüglich des Fachkräftemangels in der (Alten)Pflege im Raum – dazu zählen nicht nur die Altenheime, sondern auch die Krankenhäuser und weiteren Einrichtungen wie beispielsweise die mobile Pflege. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) veröffentlicht erschreckende Zahlen: Bis 2030 werden rund 187.000 Fachkräfte in Vollzeit gebraucht. Dabei fallen auf die Krankenhäuser etwa 63.000 fehlende ausgebildete Arbeitskräfte, bei anderen stationären Einrichtungen 51.000. Das entspricht, so das Gutachten des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI), 21 Prozent mehr, als bisher gedacht. Besonders schwer trifft es die ambulante Pflege: Hier werden rund 73.000 Stellen nicht besetzt werden können. Diese Zahl entspricht einem Plus von 49 Prozent. Allerdings schätzt der DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum die tatsächlichen Zahlen weit höher ein. Die Statistik beziehe sich derzeit nur auf die steigenden Fallzahlen, nicht aber auf die anderen Faktoren wie Personalbesetzung *.
Schon heute wird der Fachkräftemangel in der Pflege klar sichtbar: So berichtet die Bundesagentur für Arbeit, dass Arbeitgeber im Jahr 2018 im Schnitt 183 Tage benötigen, um eine freigewordene Stelle in ihren Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern neu zu besetzen. 2017 waren es noch 12 Tage weniger. Der Grund liege vor allem darin, dass es zu wenig arbeitslos gewordene Fachkräfte in diesem Bereich gebe und die Auszubildendenzahlen schrumpfen. Einen Lichtblick gebe es allerdings: Durch gezielte Fördermöglichkeiten sind immer mehr Menschen bereit, sich zum Altenpfleger ausbilden zu lassen.
Ursachen für den Fachkräftemangel in der Pflege
Die Gründe für die Entwicklungen sind vielfältig. Einer davon ist die sogenannte Überalterung der Gesellschaft. Das bedeutet ganz praktisch, dass die Zahl der Menschen, die auf Pflege jeglicher Art angewiesen sind, steigt. 2017 waren es, so das Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos, rund 3,3 Millionen Menschen, die regelmäßig auf Hilfe angewiesen waren**. Bis 2045 werden es knapp 5 Millionen Menschen sein. Das verschärft die derzeit bereits angespannte Situation und den Fachkräftemangel in der Pflege in Zukunft noch mehr**.
Wenig Wertschätzung für die Arbeit
Stress, fehlende Wertschätzung und zu wenige Kollegen – das sind die Hauptkritikpunkte, die aus den Reihen der Pflegekräfte in Deutschland schallen und mit Schuld am Fachkräftemangel in der Pflege haben. Die letzte großangelegte Studie von 2010*** zeigt weitere Probleme auf. Der größte Handlungsbedarf in der Sparte ist an diesen Punkten festzustellen:
- Gerechter und passender Verdienst der Tätigkeit
- Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie
- Personaldecke
Dazu komme, dass für den einzelnen Patienten oftmals schlichtweg zu wenig Zeit anberaumt ist. Auch die persönliche Entwicklung und Weiterbildung bleibe zunehmend auf der Strecke.
Die starken Belastungen wirken sich auch auf die Gesundheit des Pflegepersonals aus: So fürchten rund 70 Prozent der Befragten, dass sie mit zunehmendem Alter den physischen Herausforderungen des Jobs nichts mehr gewachsen sind. Besonders die mangelnde Wertschätzung führt zu immer weniger Auszubildenden, die ihre Zukunft in der Pflege sehen.
Politische Wege aus dem Fachkräftemangel in der Pflege?
Die Politik hat das Problem längst erkannt und steuert bereits gegen. Mittel der Wahl: Fördern von Aus- und Weiterbildungsplätzen sowie eine breit angelegte Öffentlichkeitskampagne. Getauft wurde das Kind „Konzentrierte Aktion Pflege“; diese Kampagne soll bis 2023 dabei helfen, die Zahl der Azubis und Einrichtungen, die eine Ausbildung in der Branche anbieten, um 10 Prozent zu steigern. Experten fürchten aber, dass diese Bemühungen alleine bei Weitem den Bedarf nicht decken werden ****.
Ein weiterer Lösungsansatz, um den Fachkräftemangel in der Pflege auszugleichen, ist eine Anhebung der Pflegeversicherungsbeiträge. Dadurch sollen die Mehrkosten, die durch neue Pflegestellen entstehen werden, aufgefangen werden. Die Diskussionen und Verhandlungen rund um diesen Vorschlag sind hitzig. Zudem sollen Teilzeitkräfte motiviert werden, mehr zu arbeiten.
Ausländische Pflegekräfte können nur einen Teil abfedern
Besonders bei den Krankenpflegern zeichnete sich in den letzten Jahren immer mehr der Trend ab, ausländische Kräfte oder sogar Leiharbeiter einzustellen. Pfleger unter anderem aus Serbien, Polen oder auch aus Tunesien oder von den Philippinen werden im Programm „Triple Win“ von der Bundesagentur für Arbeit zusammen mit der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit ermutigt, eine Stelle in Deutschland anzunehmen. Das Programm ist jetzt schon ein großer Erfolg: Bis zum Jahresende sollen etwa 3000 Fachkräfte aus dem Ausland in deutschen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen arbeiten *****. Diese Praxis kann aber, so die Behörde, ebenfalls nur eine Teil-Lösung sein.
Lösungsansätze zum Fachkräftemangel im deutschen Pflegesystem
Ganz klar, die Pflegebranche befindet sich in der Krise. Doch was tun gegen die Entwicklungen? Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel die PflegerInnen aktiv in ihrem Beruf zu halten. Beispielsweise durch Anreize wie Fortbildungen. Die Region Osnabrück macht es vor: Dort werden im Rahmen des Gesundheitscampus Weiterbildungen für Fachkräfte im Bereich der Pflege angeboten. Vier etablierte Studiengänge sorgen für weitere Möglichkeiten. Besonders die Forschung um regionale Patientenversorgung solle vorangetrieben werden. Denn der Pflegefachkräftemangel sei ein Problem, das es vor allem regional zu lösen gilt, so der IHK- Hauptgeschäftsführer Graf ******.
Selbst aktiv werden
Dazu gehört nicht nur die Mammutaufgabe, Angehörige zu Hause zu pflegen. Das kann auch gar nicht die Lösung sein. Pflegeberufe müssen wieder attraktiv gemacht werden. Dann können auch wieder junge Menschen begeistert werden, etwas für die Gesellschaft zu leisten.
Eine Möglichkeit ist es, weitere Berufsperspektiven in den pflegenden Bereichen aufzuzeigen. Denn dazu gehören auch therapeutische Angebote. Sie arbeiten schon immer gerne mit Menschen zusammen? Dann werden Sie selbst aktiv und absolvieren Sie beispielsweise eine Kunsttherapie-Ausbildung oder eine Ausbildung in der Musiktherapie bei campus naturalis. An unseren Akademien erlernen Sie, wie kreative Techniken und Praktiken älteren Menschen helfen können, die Lebensqualität zu erhalten und zu verbessern.
Die praktische Musiktherapie in der Pflege beispielsweise ist schon heute ein erfolgreiches Verfahren, das in der Praxis immer wieder Anwendung findet. Für TherapeutInnen entfalten sich durch diese neuen Felder große Potentiale – genauso wie für die PflegerInnen, die durch diese Maßnahmen sogar stellenweise entlastet werden können.
Pflege 4.0?
Auch die Digitalisierung wird immer wieder als Chance angeführt, die Bedingungen in Alten- und Krankenpflege zu verbessern. In vielen anderen Branchen spricht man derzeit beispielsweise bereits von Arbeitswesen 4.0 oder Landwirtschaft 4.0. Auch für die Pflege eröffnen sich dadurch ganz neue Wege: Vernetzen ist das Stichwort, denn ein großer Teil ist die Organisation in der Pflege. Das, in Kombination mit einer leistungsgerechten Bezahlung und ausreichend Personal könnte ein Lichtblick für den Fachkräftemangel in der Pflege sein.
Fazit: Es besteht Handlungsbedarf
…und das nicht nur von politischer Seite aus. Ein gesellschaftlicher Diskurs darüber, ob und wie die Pflege der Zukunft aussehen soll und muss ist wichtiger denn je. Am besten bevor das Kind ins Wasser gefallen ist – sonst ist es zu spät. Es dürfen weder die zukünftigen Herausforderungen wie Überalterung der Gesellschaft und das Anwerben von Auszubildenden, um den Fachkräftemangel in der Pflege nachhaltig zu bekämpfen, unterschätzt werden. Unser aller Fokus sollte sich auch darauf richten, wie jeder Einzelne seinen Beitrag zum Image und zur Wertschätzung von pflegenden Berufen leisten kann. Welche Chancen sich durch neue Entwicklungen bieten und wie diese praktisch und praxisnah ein- und umgesetzt werden können.
*Quelle: Springerpflege
** Quelle: Spiegel Online
*** Quelle: Ärzteblatt
**** Quelle: Budesgesundheitsministerium
***** Quelle: Spiegel Online
****** Quelle: Plege-Wissenschaft.info