Musiktherapie in der Pflege: Demenzerkrankten und Palliativ-Patienten mit Klängen helfen
Musik geht unter die Haut und regt alle Sinne an – das kann man nicht nur bei einem Live-Konzert erleben. Nicht umsonst beschreibt Herbert Grönemeyer in einem seiner bekanntesten Lieder das Klangerlebnis als echtes Baucherlebnis: „Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist. Wenn sie ihr in den Magen fährt“. Dabei erfährt der Zuhörer erst im Verlauf des Songs, dass die Musikliebhaberin tatsächlich taub ist. Dennoch verfehlt die Musik ihre Wirkung nicht: Die pulsierenden Töne und Bässe gehen ihr buchstäblich unter die Haut und direkt ins Herz.
Die Musiktherapie ist die Form unter den heilenden kreativen Verfahren, die am einfachsten zugänglich ist. Egal ob Jung oder Alt, taub oder hörend, geistig fit oder nicht – jeder wird über kurz oder lang von einem Musikstück mitgerissen. Das macht sich die Musiktherapie in der Pflege beispielsweise bei Demenzerkrankungen oder auf der Palliativstation zu Nutze. Sich selbst in der Musik erleben, spüren und dadurch gezielt Linderung erfahren, das sind die erklärten Ziele dieser Therapieform. Wie kann sie eingesetzt werden? Welche Personen profitieren davon? Wie wirkt Musiktherapie? All diesen Fragen wird im Folgenden auf den Grund gegangen.
Was ist die Musiktherapie?
Musik ist schon seit langer Zeit ein fester Bestandteil in vielen Kulturen – egal ob bei wichtigen Feierlichkeiten, zur Arbeitserleichterung oder um das generelle Wohlbefinden zu steigern. Sie wurde und wird auch heute noch zur Entspannung und, je nach Ausprägung, zur gezielten Heilung eingesetzt. Die Argumentation ist denkbar einfach: Wer Musik oder Klänge hört, der entspannt mit der Zeit seinen Körper und gelangt schließlich in eine Art Ruhezustand. Die Töne werden dabei entweder aktiv in der Gruppe selbst erzeugt und erlebt oder von einem Therapeuten passiv angewandt.
Heute umfasst die Musiktherapie in der Praxis unterschiedliche Bereiche:
- Früherziehung und Sozialisation im Kindesalter
- Arbeit in der Heilpädagogik zum Beispiel der Traumatherapie oder in der Krisenintervention
- Musiktherapie in der (Alten)Pflege, zugunsten der Demenzprävention und -arbeit sowie in palliativen Einrichtungen
Durch die berührende Wirkung der Musik können sogar nachhaltige Erfolge in der Schmerztherapie und bei der Burn-out-Behandlung erzielt werden.
So unterstützt Musiktherapie die Heilung in der Pflege von Demenz- und Palliativpatienten
Musik ruft Gefühle und sogar Erinnerungen hervor – zwei Aspekte, die gerade in der Demenzbehandlung und in der stationären Palliativpflege von großer Bedeutung für die Bewohner sind. Doch diese Eigenschaften der Musik sind deutlich mehr wert als stupide Beschäftigung von alten Menschen und Demenzkranken: Klänge wirken im Gehirn gewissermaßen wie ein Schlüssel. Sie gelangen vom Ohr direkt in die für das Hören und Fühlen zuständigen Regionen des Gehirns. Dort lösen sie Impulse und damit Veränderungen aus – sie dienen also der Verbesserung eines stagnierten Zustands.
Gerade bei Demenzerkrankten, die in einer eigenen Gedanken- und Erlebenswelt leben, löst das Klangerlebnis körperliche Reaktionen aus. Sie sind glücklicher, tanzen und singen sogar oder erinnern sich plötzlich wieder an Bruchstücke aus ihrer Vergangenheit. Diese Effekte bestätigt auch eine Studie* des Finnen Teppo Särkämö vom Institut für Verhaltenswissenschaft der Universität Helsinki . Zusammen mit einer Musikschule untersuchte der Wissenschaftler die Effekte von Musik auf 89 Patienten in unterschiedlichen Stadien der Demenzerkrankung. Die Teilnehmer wurden in drei Gruppen aufgeteilt. Gruppe eins erlernte das Singen von Liedern, Gruppe zwei lauschte passiv und tauschte sich dann darüber aus. Dabei standen vor allem Lieder aus der Kindheit und Jugend zentral. Gruppe drei erhielt keine musikalische Anleitung.
Die Auswertungen deuten klar darauf hin, dass mit gezielter Musiktherapie in der Demenzpflege Gehirnregionen zumindest temporär wieder aktiviert werden. Eine klare Verbesserung wurde sichtbar. Es konnten, im Vergleich mit Gruppe drei, teilweise sogar weitere Verschlechterungen vermieden werden. Demenz und Musiktherapie passen also wunderbar zusammen, ganz ähnlich verhält es sich mit Kunsttherapie bei Demenz .
Spielerisch Musik erleben
Egal ob in der Palliativmedizin, der Pflege von Demenzkranken oder sogar bei der Therapie in der Psychiatrie, das Fördern von Erlebnissen steht bei der Musiktherapie ganz klar im Vordergrund. Musikbasierte Behandlungen können dabei sehr vielfältig sein:
- Regelmäßige Singgruppen oder freie Singrunden
- Gemeinsames Musizieren auch mit Angehörigen
- Individuelle Klangerlebnisse zusammen mit einem Musiktherapeuten
Besonders wichtig, wenn Musik in den Pflegealltag mit eingegliedert wird, ist auch die Nachbereitung in Form von einem Gespräch. Das Erlebte kann so aufgearbeitet und im Idealfall sogar in Worte gefasst werden. Damit gelingt in vielen Fällen der Transfer in den Alltag.
Welchen Patienten kann mittels der Musiktherapie geholfen werden?
Wie bei jeder Form der heil- und kunstpädagogischen Arbeit kann auch in der Musiktherapie nicht klar festgelegt werden, welche Patienten sich für eine solche Behandlung eigenen und welche nicht. Daher ist immer eine individuelle Betrachtung des Einzelnen nötig. Generell kann allerdings festgestellt werden, dass selbst bei Demenz- oder Palliativpatienten im Endstadium die Musiktherapie noch etwas auslösen kann. Das muss nicht unbedingt eine mit dem Auge sichtbare Veränderung sein: So wurde bei manchen Patienten beispielsweise beobachtet, wie sich der Herzrhythmus sowie die Atmung an die jeweiligen Rhythmen und Klänge angepasst haben – kleine Effekte mit großer Wirkung!
Anerkannter Musiktherapeut werden und in der Pflege helfen
Menschen mit Demenz oder anderen schweren Erkrankungen in der Palliativpflege helfen und dabei auch noch Freude verbreiten? Mit einer anerkannten Ausbildung oder einem Studium der Musiktherapie ist das möglich. Innerhalb von etwa 1,5 Jahren erlernen Sie an einer unserer Akademien, wie Töne und Rhythmus wirken und wie sie einzusetzen sind. Neben der Theorie wird die Ausbildung durch Seminare und Praxisaufgaben aus der Musikpädagogik begleitet. Während der Weiterbildung werden die unterschiedlichsten Einsatzgebiete der Musiktherapie beleuchtet und dargestellt.
Leise Töne mit lauter Wirkung
Die Erfolge der Musiktherapie in der Pflege und besonders bei Demenz- und Palliativpatienten sprechen für sich:
- Heilung unterstützen: Schmerzen werden gelindert und die Rehabilitation gefördert.
- Entspannung erzeugen: Fährt den Körper und die Nerven herunter und sorgt damit für eine bessere Wahrnehmung des Selbst oder des Moments. Die hervorgerufenen Emotionen und physiologische Prozesse werden in ein Gleichgewicht gebracht.
- Positive Erlebnisse fördern: Musiktherapie verbessert nicht nur die Stimmung des Pflegebedürftigen, sondern dient auch der Unterhaltung im Pflegealltag.
Aus diesen Gründen sollte die Musiktherapie fester Bestandteil der Pflegeplanung in Einrichtungen für Demenzerkrankte sowie auf Palliativstationen sein. Patienten und Angehörige würden so wieder beschwingter durchs Leben gehen.
*QUELLE:https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/65141/Studie-Singen-und-Musikhoeren-hilft-Demenz-Patienten