Licht ins Dunkel bringen
Ulrike Hinrichs, Kunst- und Gesprächstherapeutin „Krankheit als Bild“ – im Gespräch mit Sarah Micke, Campus
Wir freuen uns, dass Sie bei uns exklusiv das Kompakt-Seminar „Krankheit als Bild“ anbieten. Erzählen Sie uns doch bitte etwas über Ihre Arbeit!
Ich bin selbständige Kunst- und Gesprächstherapeutin. Eine große Leidenschaft von mir sind auch das Unterrichten und Schreiben. Ich bin Autorin zahlreicher Sachbücher, unter anderem von „Krankheit als Bild“, das auch Grundlage unseres neuen kompakten Wochenend-Seminars am campus naturalis ist.
In meiner Arbeit unterstützte ich Menschen in Krisen, schwierigen Lebenssituationen und Veränderungsprozessen. Vor allem arbeite ich mit Gruppen wie Geflüchteten und Frauen mit Gewalterfahrung. Hier geht es oft auch um traumatische Erlebnisse. In meiner therapeutischen Praxis arbeite ich in Einzelsitzungen mit den Menschen an ihren Wunden und Schattenseiten. Ich empfinde diese unterstützende und mitfühlende Arbeit auch für mich als heilend und bereichernd. Mich begeistert es, Selbstheilungskräfte zu wecken und Menschen in ihre Kraft zu bringen. Mein Credo lautet: „Licht ins Dunkel bringen“.
Wie sind Sie auf das Thema „Krankheit als Bild“ gekommen?
Mich interessiert die Kunst als Sprache und in diesem Zusammenhang die Schnittstelle zwischen Psyche und Körper. Die Trennung der beiden Aspekte ist ja eine künstliche und von Menschen gemachte. Wir sind ganzheitliche Wesen, die aus Psyche und Körper bestehen. Gerade bei unheilbaren und langanhaltenden Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen oder psychosomatischen Beschwerden werden oft nur einzelne Symptome behandelt und es wird nicht auf den ganzen Menschen geschaut. Menschen mit Long Covid haben das in der Pandemie ganz besonders zu spüren bekommen. Ich habe daher eine Praxisgruppe gegründet, bei der es genau um diese Menschen geht, die längerfristig von ihren Erkrankungen betroffen sind.
Wichtig ist es mir hervorzuheben:
- Psyche und Körper bilden eine Einheit.
- Eine ärztliche Behandlung ist oft nur symptomatisch, nicht ganzheitlich.
Deshalb ist es wichtig herauszufinden, wie wir therapeutisch unterstützen können. Der Ansatz ist dabei, dass man einen ganzheitlichen Blick auf seine Krankheit bekommt und die seelisch belastenden Themen, die oft hinter den Symptomen stecken, sichtbar werden. Kunst und Körper sprechen dieselbe symbolische Sprache. Auch der Körper drückt sich bildhaft aus, denn das sind unbewusste Prozesse.
Für mich ist der künstlerische Ausdruck ein ‚Nachtsichtgerät‘, das uns durch die innere Dunkelheit führt. Es ist die Sprache des Unbewussten. Diese Sprache ist eher metaphorisch, symbolisch, so wie wir es aus Träumen kennen.
Im Seminar gehe ich unter anderem ein auf:
- Sigmund Freud, den Vater der Psychoanalyse. Durch ihn haben wir das Unbewusste eher als einen Vorort der Hölle kennengelernt, in dem unerwünschte, vor allem sexuelle Triebkräfte wüten.
- Milton Erickson, den Begründer der Hypnotherapie. Er spricht von einem Ort für Lösungen. Wenn wir mehr Licht auf diese neblige und unbekannte Seite in uns werfen, dann treten oft erstaunliche Erkenntnisse zutage.
- Carl Gustav Jung, Schüler von Freud, der schon früh erkannt hat, dass diese Sprache eher metaphorisch, symbolisch ist, so wie wir es aus Träumen kennen.
Welche Rolle spielt der Erkenntnisprozess bei erkrankten Menschen?
Die Wissenschaft geht mittlerweile davon aus, dass wir zwei Wahrnehmungsfilter haben, die sich in unserem rationalen und intuitiven Denken spiegeln. Wir sind allerdings in unserer westlichen Kultur eher auf das Rationale fokussiert.
Daniel Kahneman, Professor für Psychologie und Nobelpreisträger für Wirtschaft, unterscheidet zwei Grundformen des Denkens. Das langsame Denken entspricht dem uns gut vertrauten rationalen Denken und das schnelle Denken, das dem Unbewussten und der Intuition entspringt.
Wo findet in unseren Hirnhälften das rationale und intuitive Denken statt?
- Das planmäßige und lineare Denken findet in der linken Hirnhälfte statt.
- Das schnelle Denken, das in der rechten Hirnhälfte beheimatet ist, agiert für den aktiven Geist blitzschnell und oft unbewusst in endlosen vernetzten Assoziationsketten.
Die metaphorische Transformation von Krankheiten in Bilder hilft uns dabei, auf das schnelle Denken umzuschalten.
Haben Sie dazu ein Praxisbeispiel?
Ein schönes Beispiel ist die Wandlung von Krankheiten in Tierbilder. Wenn dein Symptom ein Tier wäre, welches wäre es? Das für die Erkrankung typische und sehr unangenehme Kribbeln assoziierte eine Klientin, die an Multiple Sklerose erkrankt ist, zum Beispiel mit einer Ameise.
Im Anschluss an den Malprozess lasse ich dann erst einmal die Klientin selbst etwas zu ihrem entstandenen Werk sagen. Denn in der Regel passiert da schon immer ziemlich viel. Allein die Tatsache, dass man nun keine Diagnose mehr vor sich hat, sondern ein Tier, weckt neue Perspektiven. Für die Bedeutungen der Tiersymbolik können wir auch auf die Lebensweise der Tiere blicken, ebenso wie auf kollektive Deutungen aus Mythen und Geschichten. Bei Tierbildern liefern auch Krafttiere aus der schamanischen Kultur hilfreiche Impulse.
Wie können wir uns die Arbeit am Bild vorstellen?
- Das Spannendste sind oft die freien Assoziationen, die den Bezug zur Intuition herstellen, verbunden dann mit der
- kollektiven Deutung von Symbolen, Bildern und Mythen.
Um beim Beispiel mit der Ameise zu bleiben: Für die Klientin war es bedeutsam, dass das Tier im Verhältnis zum Körpergewicht eine extreme Last trägt. Interessant fand sie auch, dass die Ameise auf dem Bild eben nicht in Gemeinschaft, sondern ganz für sich war. Disziplin und Pflichterfüllung seien für sie vorrangig gewesen. Die Krankheit lehre sie tatsächlich gerade, nach ihren Regeln zu leben, Fehlertoleranz zu üben und ihren Perfektionismus abzubauen. Die Krankheit veranlasse sie zu mehr Ruhe und Rückzug, was sie sich vor der Erkrankung nicht erlaubt habe.
Welchen konkreten Mehrwert sehen Sie für Behandelnde sowie Betroffene?
Für die Klient*innen wird der Blick auf die Krankheit durch diese Art der Betrachtung offener und weiter.
Auch wenn die Erfahrungen individuell sind, so lässt sich hervorheben:
- Betroffene bekommen eine neue Perspektive und ein anderes Verständnis für sich selbst und die Erkrankung.
- Ganzheitliche Zusammenhänge von Körper und Psyche werden sichtbar.
- Themen und Vorahnungen, die im Unbewussten schlummern und mit Worten oft schwer zu fassen sind, dürfen sich zeigen.
- Betroffene kommen vom Denken ins Fühlen. Dieser Prozess hilft heilen.
- Der ressourcenorientierte Blickwinkel auf Krankheit schafft Selbstwirksamkeit und wirkt stabilisierend.
- Dadurch vermindern sich gerade für Langzeiterkrankte Ohnmachtsgefühle und Hilflosigkeit.
- Und als positive Nebenwirkung bauen Betroffene Stress ab, indem sie sich beim Malen in sich selbst vertiefen. Und Stress ist der Killer für die Gesundheitspolizei, das Immunsystem.
Es geht nicht darum, das Eine zu machen und das Andere zu lassen. Ich finde entscheidend, dass wir nicht trennen, sondern die westliche Medizin mit unserem inneren Heiler, der in Bildern zu uns sprechen kann, zu verbinden.
Herzlichen Dank für die spannenden Einblicke und weiterhin viel Freude und Erfolg als Dozentin am Campus.
Die Kunst- und Gesprächstherapeutin Ulrike Hinrichs bietet in ihrem neuen Seminar einen interdisziplinär breit gefächerten Ansatz zum Thema „Krankheit als Bild“.
Der erste Seminar-Durchgang findet am Wochenende 23. und 24. September in Hamburg statt. Online können Sie am Seminar „Krankheit als Bild“ an den Wochenenden 16. und 17. Dezember 2023 sowie 3. und 4. Februar 2024 teilnehmen.
Bereits am 20. September um 15 Uhr können Sie durch die Teilnahme am kostenlosen Online-Schnupper-Workshop einen Einblick in die Inhalte erhalten und die Dozentin kennenlernen.