Die Pflege von Angehörigen zu Hause: Wenn Liebe vor Karriere geht
Unsere Gesellschaft überaltert, das hören wir an jeder Ecke. Parallel sinkt die Qualität von Alten- und Pflegeeinrichtungen aufgrund des Fachkräftemangels immer weiter ab. Für viele Familien ist daher die Pflege und Betreuung oder Unterstützung von Angehörigen zu Hause der einzige Ausweg, Eltern oder Großeltern einen liebevollen letzten Lebensabschnitt zu ermöglichen. Was bedeutet es, Angehörige zu Hause zu pflegen? Welche Herausforderungen gibt es dabei und wie ist die Situation für pflegende Angehörige in Deutschland insgesamt? Wir nehmen die Situation unter die Lupe.
Zahl der pflegenden Angehörigen steigt
Mehr als 2,5 Millionen Erwerbstätige in Deutschland pflegen ihre Angehörigen zu Hause. Die Zahl derer und vor allem die Belastung durch diese pflegenden Tätigkeiten sind währen der Corona-Pandemie deutlich gestiegen, so mehrere Studien zum Thema. Die Ergebnisse des Deutschen Alterssurveys (DEAS) verdeutlichen1, wie viele Menschen im erwerbstätigen Alter Eltern, Großeltern oder weitere Angehörige zu Hause betreut haben und wie viel Kraft das kostet:
- Im Schnitt wenden pflegende Frauen 11,5 Stunden pro Woche für die Pflege von Angehörigen auf, Männer 7,5 Stunden
- Nicht-Erwerbstätige wenden im Vergleich zu Erwerbstätigen mehr Zeit auf (17,2 Stunden zu 7,6 Stunden), heißt, es ist schwierig Beruf und Pflege zu vereinbaren
- Vier von fünf Pflegebedürftigen werden zu Hause versorgt
Die Versorgung zu Hause wird in manchen Fällen komplett von Angehörigen übernommen, in anderen Fällen wird ein ambulanter Pflegedienst unterstützend hinzugezogen.
Die Zahlen sprechen für sich: Die Pflege von Angehörigen zu Hause ist nicht nur zeitintensiv, sondern auch kraftaufwendig. Schließlich geht es nicht nur darum, einen geliebten Menschen zu versorgen, sondern auch den oft auch langwierigen Prozess des Alterns bis hin zum Tod zu begleiten. Anders als bei jüngeren Menschen, ist der Abbau der körperlichen und geistigen Fähigkeiten, irreversibel und zumeist ohne Hoffnung auf Besserung. Es ist die Akzeptanz in die Unvermeidlichkeit, dass ein geliebtes Leben hier zu Ende geht, das die Pflegenden und ihre Angehörigen, Freunde und Familie über alle Maße belasten kann.
Sich bewusst für die Pflege von Angehörigen zu Hause entscheiden ist kein leichter Schritt
Vera Schneevoigt, Topmanagerin bei Bosch2, hat sich nach 30 Jahren Karriere in großen deutschen Tech-Unternehmen dazu entschieden, ihren Beruf zurückzuschrauben, um ihren Eltern und Schwiegereltern im Alter bei Seite zu stehen. Eine Entscheidung, die sie gemeinsam mit ihrem Mann ganz bewusst getroffen hat. Sie kann sich das leisten, da sie, wie Schneevoigt selbst bestätigt, aus einer sehr privilegierten Situation heraus gestartet ist.
Viele Angehörige von Menschen, die sie zu Hause pflegen, sind das nicht. Diskriminierung am Arbeitsplatz ist im Bereich der Menschen, die Angehörige zu Hause pflegen nicht unüblich, so eine Befragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes3. So sehen sich 27 Prozent der Befragten aufgrund der Pflege von Angehörigen beruflich diskriminiert.
Dazu gehören unter anderem:
- Ausbleibende Gehaltserhöhungen
- Schlechtere Leistungsbewertungen
- Fehlende Rücksichtnahme/keine Gewährung von Flexibilität der Arbeitgeber
Das wird zunehmend zum Problem, so Expert*innen, denn der Fachkräftemangel in der Pflege nimmt immer weiter zu. Menschen, die ihre Angehörigen zu Hause pflegen möchten oder auch müssen, da die Pflegeheimkosten nicht zu stemmen sind, sollten sich daher genau bewusst sein, welche Verantwortung sie sich damit aufbürden.
Pflege Angehöriger und Beruf vereinbaren: Unsere Tipps
Es kommt natürlich immer darauf an, in welcher Situation Sie sich befinden. Spielen Sie mit dem Gedanken, langfristig mehr für Ihre Eltern oder auch Kinder da zu sein und zu Hause zu pflegen? Oder sind Oma und Opa plötzlich zum Pflegefall geworden und Sie sind zum raschen Handeln gezwungen? Sie sollten sich auf jeden Fall über Ihre verschiedenen Optionen informieren. Wir haben hier die wichtigsten Tipps für Sie zusammengefasst.
Kurzfristige Pflege von Angehörigen
Wenn Eltern kurzfristig Hilfe benötigen, dann muss es teilweise schnell gehen. Aus diesen Gründen gibt es verschiedene Regelungen für die Kurzzeitpflege von Angehörigen zu Hause:
- Freistellung bis zu 10 Tage: Angestellte können sich kurzfristig für bis zu 10 Tage aufgrund von einer akut auftretenden Pflegesituation freistellen lassen. Das gilt für nahe Angehörige, die durch die Pflege nicht arbeiten können. Die Zeit dient dazu, die Pflege des Angehörigen zu organisieren und sie in dieser Zeit sicherzustellen. Wichtig: Die 10 Tage müssen nicht am Stück genommen werden. Sie gelten pro zu pflegender Person und können auch auf mehrere Angehörige aufgeteilt werden.
- Pflegezeit bis zu 6 Monate: Arbeitnehmer*innen können bis zu 6 Monate aus ihrem Beruf ganz oder teilweise aussteigen, um Angehörige zu pflegen. Das ist die sogenannte „Pflegezeit“. Rechtlichen Anspruch darauf haben Arbeitnehmer*innen, die in Unternehmen mit mindestens 15 Mitarbeiter*innen arbeiten.
- Begleitung der letzten Lebensphase: Diese besondere Form der Pflegezeit dient in der Palliativpflege zu Hause oder in einem Hospiz des Abschiednehmens. Angehörige sollen sich hier in Ruhe verabschieden können. Ein Pflegegrad ist nicht notwendig, Betroffene können diese Pflegezeit auch ohne in Anspruch nehmen.
Je nachdem ist es sinnvoll nicht nur auf die rechtlichen Gegebenheiten zu blicken, sondern sich direkt mit seinem/seiner Arbeitgeber*in zusammenzusetzen. Dabei können verschiedene Optionen und Regelungen durchgesprochen werden, um die perfekte Lösung für alle zu finden.
Familienpflegezeit
Das ist die Erweiterung der Pflegezeit. Rechtsanspruch darauf haben Erwerbstätige in Unternehmen ab mindestens 26 Beschäftigten. Bei den Angehörigen, die Sie pflegen, muss ein Pflegegrad vorliegen. Während der Familienpflegezeit, müssen Arbeitnehmer*innen mindestens 15 Stunden pro Woche (im Jahresdurchschnitt) weiterarbeiten. Stellen Sie außerdem unbedingt einen Antrag auf Leistungen der Pflegeversicherung bei der Pflegekasse des/der Angehörigen.
Förderungen für pflegende Angehörige
Gesetzlich ist vorgesehen, dass Angehörigen, die Eltern, Großeltern oder Freunde zu Hause pflegen, während der Pflegezeit den regulären Lohn für die jeweils geleistete Arbeit erhalten. Das bedeutet, dass bei der Reduzierung von Arbeitszeit, ein Teilzeitgehalt gezahlt wird. Wenn Sie sich allerdings komplett freistellen lassen, dann erhalten Sie von Ihrem/Ihrer Arbeitgeber*in nichts.
Sie haben allerdings Recht auf ein zinsloses Darlehen vom Staat, um Ihre Einkommensverluste auszugleichen. Dieses Darlehen kann bis zu 50 Prozent Ihres Nettogehaltes betragen und wird monatlich ausgezahlt. Sie erhalten es auf einen Antrag beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben hin.
Pflege Angehöriger zu Hause genau abwägen
Wenn Sie sich dafür interessieren, Ihre Angehörigen zu Hause zu pflegen, dann sollten Sie das auf jeden Fall gut abwägen. Denken Sie auch immer daran, dass das nicht nur für die zu Pflegenden schwierig sein kann, sondern auch für Sie selbst zur Herausforderung werden wird. Das heißt, Sie sollten auch für sich sorgen und versuchen, sich zum Beispiel mit unserem Seminar Achtsamkeit und Meditation oder unserem Seminar Kursleiter*in für Stressbewältigung darauf mental fortzubereiten. Denn schlussendlich geht es nicht nur um das Wohl der von Ihnen betreuten Person, sondern auch darum, dass Sie langfristig die nötige Kraft, Zeit und Liebe aufbringen können, um gesund durch diese neue und oft schwere Phase in Ihrem Leben zu kommen.
Quelle1: bmfsfj.de
Quelle2: wirtschaftskraft.de
Quelle3: antidiskriminierungsstelle.de