Traumabewältigung über Generationen hinweg
Menschen erleben immer wieder Kriege, Gewalt und müssen fluchtartig ihre Heimat verlassen. Nicht nur im aktuellen Konflikt in der Ukraine werden wir immer wieder mit schrecklichen Bildern und unvorstellbarem Leid konfrontiert. Bei den Betroffenen sind Traumata und seelische Erkrankungen mehr oder weniger vorprogrammiert – spurlos geht eine Flucht nicht an jemandem vorbei. Besonders belastend sind diese Eindrücke für Kinder. Wir sprechen darüber, wie Traumabewältigung in diesem Bereich funktionieren kann.
Auch wenn wir selbst vielleicht keinen Krieg am eigenen Leib gespürt und diese Angst durchlebt haben, sind wir möglicherweise doch durch unsere Eltern und Großeltern-Generation davon geprägt. Traumata sind vererbbar, die Bewältigung findet oft über Generationen hinweg statt. Wie kann also dafür gesorgt werden, dass die Traumata, die Geflüchteten aktuell eingeschrieben werden rechtzeitig bewältigt werden?
Was ist ein Trauma eigentlich?
Ein Trauma ist grundsätzlich ein hochgradig belastendes Ereignis im Leben1, das die Person meist nicht richtig verarbeiten oder bewältigen kann. Die Entwicklung von Traumata geht meist einher mit Gewalterfahrung, sowohl physisch als auch psychisch. Dazu gehören beispielsweise Unfälle, körperliche oder sexuelle Gewalt oder Kriegserfahrungen. Der Begriff „seelische Verletzung“ trifft es wohl am besten. Die Folgen können für Betroffene ganz unterschiedlich aussehen und die verschiedensten Krankheitsbilder, auch Traumafolgestörungen genannt, hervorrufen:
- Posttraumatische Belastungsstörungen, wie sie besonders bei Soldaten, Flüchtlingen oder Opfern von Gewaltverbrechen auftreten
- Psychosomatische Erkrankungen wie Depressionen, Essstörungen, Manien
- Vermeidungsverhalten aller Art
- Körperliche Schmerzen und Beschwerden für die es keine medizinische Erklärung gibt
Die Symptome für Traumafolgestörungen sind von Betroffenem zu Betroffenem sehr unterschiedlich. Zum Teil äußern sich Traumata als Unruhezustände, als generelle Verdrängung der Ereignisse (Gefühl der Gefühllosigkeit) oder aber als plötzlich eintretende Flashbacks mit nervlichen Zusammenbrüchen. Für die Traumabewältigung wird meistens eine Psychotherapie herangezogen, die mit dem Menschen die belastenden Erinnerungen aufarbeitet.
So kommt es zu einem Trauma
Wenn wir als Menschen eine hochgradig belastende Situation durchleben, dann verändert uns das psychisch2. Die Vize-Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikum Bonn, Leiterin der Trauma-Ambulanz in Göttingen, Dr. Ulrike Schmidt beschreibt das so:
Gerade innerhalb der ersten 72 Stunden nach der akuten Belastungsreaktion des Körpers und des Geistes verändern sich Menschen radikal. Es geht meist in zwei Extreme, einmal werden Menschen sehr rastlos, sie leiden unter Schlaflosigkeit und sind kaum ansprechbar. Oder sie verstummen, werden bewegungsunfähig und ziehen sich komplett in sich zurück. Beide Formen sind Anzeichen für eine posttraumatische Belastungsstörung, die akute psychotherapeutischer Hilfe verlangt.
Welche Gefahr geht von Traumata aus?
Grundsätzlich verändern uns Traumata also stark. Die tatsächliche Gefahr geht dann von den Traumafolgestörungen aus. Je länger und intensiver wir Traumata ausgesetzt sind, desto schwerwiegender können die Folgen davon sein. Auch sollte immer unterschieden werden, wie alt eine Person ist, die ein Trauma überwinden muss. So gelingt das Erwachsenen etwas besser als Kindern. Daher ist eine professionell begleitete Traumabewältigung immens wichtig. Nicht erst seit der Flüchtlingswelle von 2015 wird offen über Traumatherpie für Flüchtlingskinder diskutiert.
Trauma über Generationen hinweg
Doch nicht nur der- oder diejenige, die eine traumatische Situation erlebt hat, wird davon beeinflusst. So erforschen heute Expert*innen wie die Professorin Heide Glaesmer3, Traumaforscherin an der Universität Leipzig, das Phänomen der sogenannten „Kriegsenkel“. Die Frage lautet: Können traumatische Erlebnisse und die Auswirkung derer vererbt werden?
Untersucht werden dazu vor allem die Kriegskinder aus dem zweiten Weltkrieg. Viele waren noch zu klein, um aktive Erinnerungen an Bombeneinschläge und Gewalt zu haben. Allerdings berichten die Kinder von Betroffenen heute von einer lebensbestimmenden, tiefliegenden Angst. Diese ginge vor allem von den Eltern, die den Krieg als Kleinkinder erlebt haben, aus. Ein klares Anzeichen dafür, dass Traumata über Generationen hinweg bestehen können. Rund ein Drittel der Kriegskinder in Deutschland haben schwere Belastungen, also Traumata, erlebt, die nicht bewältigt wurden.
Mit Blick auf die aktuelle Situation sollte also das Ziel sein, bereits jetzt aktive Traumabewältigung bei Geflüchteten anzubieten. Andernfalls könnte es der nächsten und übernächsten Generation der Kinder des Ukraine-Krieges so ergehen wie den Kriegsenkeln in Deutschland.
Trauma überwinden: Therapieformen
Wie bei vielen psychischen Erkrankungen lassen sich Traumata und die daraus resultierenden Folgestörungen nicht pauschalisiert behandeln. Daher ist es für Betroffene von enormer Wichtigkeit, die passende Behandlungsmethode zu finden. Traumatherapeut*innen versuchen daher, den/die Klient*in als Ganzes wahrzunehmen. Das heißt, Körper, Seele und das Umfeld miteinzubeziehen. Je nach Schwere des Traumas werden unterschiedliche kreative Therapien herangezogen, unter anderem:
- Kunst-, Musik- oder Tanztherapeutische Anwendungen, bei denen Betroffene Zugang zu ihrem Trauma erhalten
- Systemische Beratungen, bei denen der/die Einzelne innerhalb des sozialen Gefüges betrachtet wird
- Verbalisierungsübungen
Das Ziel dabei ist es, das Trauma, das eventuell auch über Generationen hinweg vererbt wurde, zu fassen. Dabei sollen Betroffene wieder mit sich selbst in Verbindung treten. Ihren eigenen Körper und die eigenen Gefühle wahrnehmen und neues Selbstbewusstsein entwickeln. Das alles hilft dabei, die Bewältigung des Traumas voranzutreiben.
Selbst aktiv helfen, Traumata zu überwinden
Sie interessieren sich für diesen Bereich der Psychotherapie und möchten aktive Hilfe leisten? Dann finden Sie bei uns am campus naturalis ganz unterschiedliche Aus- und Weiterbildungen zum Thema Trauma:
- Die Ausbildung in der systemischen Traumatherapie betrachtet den Menschen als ganzheitliches Wesen, das innerhalb von individuellen Systemen besteht.
- Die Kunsttherapie-Ausbildung, die künstlerische Prozesse nutzt, um tiefsitzende Traumata aufzudecken und zum Ausdruck zu verhelfen.
- Die Ausbildung in der Musiktherapie, die mit Tönen hilft, ganz unmittelbar durch die Stimme wie Instrument
- Die Ausbildung in der Tanz- und Bewegungstherapie, die mit dem Körper und damit dem nonverbalen Ausdruck arbeitet
- Die Ausbildung in der Theater- und Dramatherapie, die hilft, mit der Kraft der Inszenierung, einen Weg zum traumatisierten Ich zu finden
Bei uns profitieren Sie von einem aktiven und praktischen Ansatz, den wir in unseren Ausbildungen immer auch haben. Unsere Expert*innen sind Dozierende mit umfassenden Erfahrungen aus der Praxis. Das heißt, sie vermitteln Ihnen neben dem theoretischen Wissen auch konkrete Methoden der aktiven Herangehensweise im Umgang mit traumatisierten Menschen. So bekommen Sie das nötige Werkzeug an die Hand, um Ihren Klient*innen zu helfen.
Traumabewältigung: Noch lange nicht beendet
Tiefgreifende, erschütternde individuelle wie kollektiv Erlebnisse wie Verlust, Tod, Kriege, Flucht oder körperliche und sexuelle Übergriffe werden nicht einfach aufhören. Daher ist es wichtig, Betroffenen Hilfe anzubieten und Lösungsansätze gemeinsam zu erarbeiten, um diese Traumata zu überwinden. Die Traumabewältigung steht heute auf ganzheitlichen Beinen, sie bietet die Möglichkeit, Betroffenen zu helfen und vor allem Generationenübergreifende Traumata zu er- und verarbeiten.
Quelle1: deutsche-traumastiftung.de
Quelle2: tagesschau.de
Quelle3: apotheken-umschau.de