Bedürfnisorientierte Erziehung – so geht’s
Die bedürfnisorientierte Erziehung, auch Attachment oder Soft Parenting genannt, hat in den letzten Jahren einen regelrechten Boom erfahren. Während einige Eltern dieses Konzept feiern, sind andere eher skeptisch und besonders Pädagoginnen, Pädagogen und Psychotherapeuten, Therapeut*innen stehen der bedürfnisorientierten Erziehung heute zum großen Teil eher kritisch gegenüber. Wir beleuchten diese Erziehungsform im Detail und zeigen die Risiken auf.
Was ist bedürfnisorientierte Erziehung?
Bedürfnisorientierte Erziehung kommt ursprünglich als sogenanntes Attachment Parenting oder auch Gentle Parenting aus dem englischen Kulturraum. Das steht zunächst erstmal für eine bindungsorientierte Elternschaft, die die Bedürfnisse von Kindern direkt ins Zentrum stellt. Die Grundidee beinhaltet:
- Möglichst viel Liebe von der Geburt an
- Möglichst nur positive Erfahrungen
- Förderung einer starken Bindung zwischen Eltern und Kind, besonders zur Mutter
Das Stillen der Babys ist ein elementarer Bestandteil der bedürfnisorientierten Erziehung und damit die sehr enge Bindung zur Mutter. Kindern soll die Erfüllung aller Bedürfnisse und damit eine gute Entwicklung ermöglicht werden1.
Ursprünge des Attachment Parentings
Der Kinderarzt William Sears gilt mit seinem 1982 veröffentlichten Buch als der Begründer des Attachment Parentings und damit auch der bedürfnisorientierten Erziehung. Er setzt auf eine intensivierte Beziehung zwischen Eltern und Kind und greift damit ein schon immer da gewesenes Konzept auf2.
Die 3 wichtigsten Aspekte der bedürfnisorientierten Erziehung
Dieser Erziehungsstil beginnt schon direkt nach der Geburt. Die drei wichtigsten Aspekte sind:
- Körperkontakt: Säuglinge brauchen Nähe. Bei der bedürfnisorientierten Erziehung wird daher Wert gelegt auf das Stillen. Damit wird die Beziehung zur Mutter gestärkt und das Baby weiß durch diese Prägung, wo es hingehört. Im Idealfall besteht dieser enge Körperkontakt über den ganzen Tag hinweg: Das Baby ist im Tragetuch direkt dabei.
- Wenig Schreien und ruhiger Schlaf bei den Eltern: Attachment Parenting oder bedürfnisorientierte Erziehung zielt darauf ab, alle Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen. Im Idealfall schreit das Kind gar nicht erst – was in der Realität natürlich fast nicht umsetzbar ist. Ziel ist es daher, dass Babys wenig schreien und besonders sie nicht schreien gelassen werden. Mit dem Schlaf verhält es sich so: Babys sollten, laut Attachment Parenting, am besten im Elternbett mitschlafen. Schlaftrainings werden abgelehnt.
- Kinder entscheiden selbst: Mit der Zeit wird eine liebe- und respektvolle Beziehung zwischen Eltern und Kind aufgebaut. Kinder sollen daher bei der bedürfnisorientierten Erziehung langsam sich selbst, die eigenen Bedürfnisse erkennen und respektieren. Eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Eltern und Kind ist, so das Attachment Parenting, genug, um Grenzen festzulegen.
Bedürfnisorientiere Erziehung fordert viel Zeit
Eltern, die an dieser Erziehungsmethode festhalten, bringen viel Geduld und Aufopferungsgabe mit. Bedürfnisorientierte Erziehung fordert definitiv viel Zeit – besonders bei mehreren Kindern im Haushalt kann das zur echten Herausforderung für Eltern werden. Expert*innen aus der systemischen Kinder und Jugendpädagogik sehen daher in der bedürfnisorientierten Erziehung echtes Risikopotential.
Kritik an der bedürfnisorientierten Erziehung
Experten weisen darauf hin, dass eine bedürfnisorientierte Erziehung so wie sie in Deutschland in der Literatur für Eltern beschrieben wird, meist falsch gerahmt ist. Das führt dazu, dass Kinder keine Grenzen kennen und zu kleinen Erwachsenen herangezogen werden, die zu starke Führungsansprüche setzen. Wenn Ihr Kind schlussendlich bei Minusgraden mit Sandalen nach Draußen gehen möchte und bei einem „Nein“ einen Wutanfall bekommt, ist weder Ihnen noch dem Kind geholfen.
Maximale Bedürfnisorientierung und schlussendlich Erfüllung kann langfristige Folgen haben. So kann es beispielsweise passieren, dass es zu psychischen Erkrankungen bei Kindern kommt. Aber auch physische Erkrankungen und dazu führt, dass Aggressivität bei Kindern steigt. Viele Betroffene leiden bis ins Erwachsenenalter hinein – also genau das Gegenteil von dem, was Sie als Eltern Ihrem Kind mit auf den Weg geben möchten. Anzeichen für eine fehlgeschlagene bedürfnisorientierte Erziehung sind außerdem:
- Fehlende Frustrationstoleranz, besonders in der Trotzphase kann das zur echten Herausforderung für Eltern werden
- Das Kind kennt keine Grenzen
- Gefühle von Egal-Sein, insbesondere im Hinblick auf die Wünsche anderer
Bedürfnisorientierte Erziehung kann aber auch gelingen
Experten betonen immer wieder, dass reine bedürfnisorientierte Erziehung ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse der Eltern dem Kind langfristig wohl mehr schadet als guttut. Allerdings kann das Attachment Parenting für Säuglinge und Kinder bis zu 2 Jahren durchaus eine Option sein – innerhalb bestimmter Rahmenbedingungen, die nicht nur das Kind ins Zentrum stellen.
Quelle1: dreipunkt.team
Quelle2: kita.de