Wenn Hilfe belastet: Zwischen Helfersyndrom und Gutmenschentum
Wir Menschen sind von Natur aus darauf gepolt, anderen zu helfen. Nur so konnten wir uns vom Steinzeit-Mensch, der in Gruppen ums Überleben kämpfte, zum modernen, hochentwickelten Menschen wandeln. Angesichts der Probleme die wir in unseren heutigen Gesellschaften erleben, nimmt die gegenseitige Hilfe und die Solidarität zwischen allen auf der Erde lebenden Menschen einen immer wichtigeren Stellenwert ein. Doch wie viel Hilfe ist gut für den/die Einzelne*n? Welche Folgen haben Helfen oder Nicht-Helfen für uns und die Gesellschaft? Zwischen Helfersyndrom und Gutmenschentum, wir nehmen die Nächstenliebe und das, was daraus entstehen kann, genau unter die Lupe.
Gutmensch und Helfersyndrom – wie geht das zusammen?
Die Begriffe „Gutmensch“ und „Helfersyndrom“ sind seit 2015 immer wieder heiß diskutiert. „Gutmensch“ wurde 2015 zum Unwort des Jahres gekürt1. Die Begründung war ein Schlag für viele Freiwillige: Als Gutmenschen wurden besonders Menschen beschimpft, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagierten. Dabei wird Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv abgestempelt sowie der Begriff des Helfersyndroms mit ins Spiel gebracht. Damit wurde die psychische Erkrankung, denn nichts anderes ist das Helfersyndrom, abgewertet.
Was ist die Definition eines Helfersyndroms?
Wenn Hilfe sich zu einer krankhaften Störung oder einem Zwang entwickelt, dann sprechen Expert*innen vom sogenannten Helfersyndrom. Den Begriff erwähnte Wolfgang Schmidbauer2 zuerst im Jahr 1977. Allerdings ist es bis heute keine anerkannte Krankheit, sondern vielmehr ein Phänomen, das zu Krankheiten wie Depressionen oder Burnout führt. Das Helfersyndrom äußert sich dadurch, dass Betroffene eine sehr hohe Hilfs- und Aufopferungsbereitschaft vorweisen. Dabei geht es allerdings nur sekundär um die geleistete Hilfe für Andere. Vielmehr dient das Helfersyndrom dazu, eigene psychische und soziale Probleme zu kompensieren. Bei vielen Betroffenen steht auch im Hintergrund, ob ihre Hilfe überhaupt gebraucht oder erwünscht ist. Symptomatisch für das Helfersyndrom ist ebenfalls:
- Ständiges Gefühl gebraucht zu werden,
- Schwierigkeiten „Nein“ zu sagen,
- Probleme anderer werden zu den eigenen gemacht,
- nicht helfen wird als unsozial angesehen
Auch können sich Menschen, die unter dieser psychischen Erkrankung leiden, nicht selbst etwas Gutes tun, ohne dabei Schuldgefühle zu empfinden. Oftmals arbeiten Menschen, die unter einem Helfersyndrom leiden in sozialen oder medizinischen Berufen – die Störung kann allerdings dazu führen, dass diese Personen schneller ein Burnout entwickeln.
Was sind die Ursachen eines Helfersyndroms?
Die Gründe für die Entwicklung eines Helfersyndroms sind vielfältig3. So liegen die Wurzeln für einen solchen Zwang oft in einer Kindheit, in der sich Anerkennung und Liebe der Eltern erarbeitet werden musste. Auch bestimmte Charaktereigenschaften wie der Blick nach rechts und links auf seine Mitmenschen statt auf sein Ziel, können die Entwicklung eines Helfersyndroms begünstigen.
Allen, die unter einem Helfersyndrom leiden, ist gemeinsam, dass sie unter einem geringen Selbstwertgefühl leiden. Durch die geleistete Hilfe erfahren diese Menschen Anerkennung, Dankbarkeit und Zuneigung. Menschen, die unter dem Helfersyndrom leiden, benötigen diese Bestätigung regelmäßig – dadurch werden sie gewissermaßen abhängig, verlieren sich aber parallel selbst. Auch die Angst nicht gebraucht oder geliebt zu werden, ist ein wichtiger Punkt in der Manifestation der Zwangsstörung. Expert*innen sprechen daher vom Helfersyndrom als eine Angststörung.
Wann wird helfen krankhaft?
Sie kennen das sicher auch: Wir wollen zwar helfen, fühlen uns aber oft nicht in der Lage, das zu tun. Oder wir wissen nicht genau, wo wir anpacken sollen. Dadurch wird die Hilfe erstmal zurückgestellt oder wir befriedigen unser Gewissen durch eine Sach- oder Geldspende. Trotzdem fühlen wir uns damit irgendwie schlecht. Das ist zunächst eine vollkommen normale Reaktion auf ein Problem, das wir nicht begreifen können. Gesunde Menschen setzen sich damit allerdings anders auseinander als Menschen, die in Gefahr laufen ein Helfersyndrom zu entwickeln. Helfen wird dann krank- oder zwanghaft, wenn es der einzige Lebensinhalt und die einzige Quelle des Glücks wird.
Wie erkennen Sie ein Helfersyndrom?
Sie kennen jemanden, bei dem Sie den Verdacht haben, er oder sie könnte unter dem Helfersyndrom leiden? Dann hilft Ihnen diese Liste zu erkennen, ob es sich tatsächlich um ein Helfersyndrom handelt. Ein sicheres Zeichen für die Zwangsstörung ist die dauerhafte ungefragte Hilfe. Allerdings gibt es schon frühere Anzeichen:
- Missachtung der eigenen Bedürfnisse, bis hin zur Aufgabe oder Zurückstellung von eigenen Wünschen
- Bereitschaft mehr zu geben, als man zurückerhält
- Anhaltende Erschöpfungszustände bis hin zu Depressionen
- Hilfe wird nicht angenommen
- Belastungen werden durch Medikamente kompensiert
Wenn Betroffene diese Anzeichen vorweisen, dann sprechen Sie sie darauf an. Gegebenenfalls holen Sie sich externe Hilfe.
Helfersyndrom und Beziehungen
Menschen, die anfällig für ein Helfersyndrom sind, nehmen das auch mit in ihre Beziehungen. So zeigt sich, dass diese Menschen primär Partner wählen, die sie bemuttern und rundum versorgen können. Was zunächst angenehm erscheint, wird allerdings in den meisten Fällen auf Dauer zur Belastung für die Beziehung. Bei Trennungen fallen dann oft Sätze wie „ich habe doch immer alles für dich getan“. Wenn solche Strukturen in Partnerschaften auftauchen, sollten diese frühzeitig angesprochen werden.
Hilfe für Betroffene
Zunächst geht es bei Menschen mit Helfersyndrom darum, aktive Stressbewältigung und Burnout-Prävention zu leisten und sie nicht pauschal als Gutmenschen abzuwerten. Achtsamkeitstrainings und vor allem die Steigerung des Selbstwertgefühles auf einer anderen Basis als dem Helfen ist für Betroffene wichtig. Expert*innen, die Menschen mit Helfersyndrom betreuen, können dabei auch ganz verschiedenen Bereichen kommen. Mit einer Ausbildung in der systemischen Einzel-, Paar- und Familienberatung beispielsweise kann der Einzelne innerhalb seines sozialen Gefüges betrachtet werden. Aber auch Menschen, die ein Seminar in Achtsamkeit und Mediation besucht haben, helfen Betroffenen dabei, sich selbst wieder besser wahrzunehmen. Sie interessieren sich für diese Bereiche? Dann werden Sie selbst aktiv und lernen, wie Sie Menschen mit psychischen Störungen helfen können – ganz ohne sich dabei selbst zu verlieren.
Wenn helfen krank macht
Grundsätzlich ist anderen zu helfen etwas sehr Schönes und Nötiges in unserer Gesellschaft – wer hilft ist noch lange kein negativ konnotierter Gutmensch! Wir Menschen sind soziale Wesen, die nur in der Gruppe erfolgreich sind. Dennoch sollte die Balance zwischen anderen und sich selbst helfen gewahrt bleiben. Andernfalls drohen Menschen, die unter einem Helfersyndrom leiden, daran zu zerbrechen.
Quelle1: merkur.de
Quelle2: flexikon.doccheck.com & idee-fuer-mich.de
Quelle3: therapie.de