Wie viel Kindererziehung muss sein?
Strenge Erziehung, Hippie-Erziehung, Soft Parenting, gar keine Erziehung: Das Thema Pädagogik und Kindererziehung ist unter Eltern eines der am heißesten diskutierten. Und nach jeder Unterhaltung mit Kindergartenerzieher*innen und anderen Eltern kommen Sie sich so vor, als würden Sie garantiert etwas falsch machen. Wie viel Erziehung brauchen unsere Kinder wirklich? Wir suchen Antworten.
Erziehung als Gewaltakt
Eine steile These, die Kindheitsforscher Michael Hüter1 vorbringt: Seiner Meinung nach ist die Kindererziehung immer ein Gewaltakt und ein Akt der Demütigung gegenüber unseren Kleinen. Der Forscher fürchtet um die Kindheit unseres Nachwuchses und warnt vor dramatischen Folgen.
Seine Forderung: Wir müssen endlich empathisch und friedvoll mit unseren Kindern umgehen und auf Ihre Bedürfnisse eingehen. Erziehung, wie sie heute in Kindergarten, Schule und im Elternhaus praktiziert wird, sieht er als falsch. Wir tuen den Kindern unrecht, wenn wir mittels Erziehung einen „richtigen“ Menschen aus ihnen machen möchten, so der Forscher. Jeder Mensch käme als soziales und intelligentes Wesen auf die Welt, nicht als etwas Fehlerhaftes, das wir formen müssen. Probleme mit den Kindern entstehen immer erst dann, wenn wir eine strikte Kindererziehung anwenden. Dann werden die meisten Therapien bei Kindern notwendig.
Hüter plädiert stattdessen für:
- Respekt und Anerkennung zwischen Eltern und Kindern
- Dass wir nicht unsere Wünsche und Vorstellung auf das Kind projizieren
- Klare Gewaltfreiheit
- Eine gute Vorbildfunktion der Eltern, an der sich die Kinder orientieren können
Klingt doch gar nicht so schlecht, oder? Wie steht es also um die heutige Kindererziehung und was können wir als Eltern mitnehmen?
Erziehungsstile im Wandel der Zeit: Ein kurzer Abriss
Kein Thema polarisiert seit Generationen so wie die Kindererziehung. Werfen wir einen Blick darauf, wie Erziehungsformen und -stile sich bis heute gewandelt haben.
Autoritäre Kinderziehung
Wir kennen das alle aus Erzählungen von unseren Großeltern: „Das hätte es damals bei uns nicht gegeben!“ Die autoritäre Erziehung der 1950er Jahre und der Jahrzehnte davor hat sich komplett auf die Kontrolle über das Kind durch die Erwachsenen beschränkt. Gehorchen und Konditionieren waren Stichwörter. Manche Erwachsene leiden darunter bis heute. Bei Kindern, die heute noch diese Form der Erziehung erfahren, stellt sich häufig auffälliges Verhalten ein. Die Aggressivität bei Kindern steigt an2.
Antiautoritäre oder liberale Erziehung als direkte Gegenbewegung
Freiheit statt Zwang, harten Grenzen und Regeln. Diese Idee prägte den antiautoritären Kindererziehungsstil der 1970er Jahre. Ein Vertreter der gesellschaftlichen Strömung ist beispielsweise Paul Watzlawik, der die Bewegung der neuen Freiheit entwickelte. Für die Kinder dieser Zeit hieß es: Aufwachsen ohne Regeln. Teilweise führte das allerdings eher zu Schulabbrüchen, Drogenkonsum und eher niedrigem Selbstwertgefühl als zu erhofften freiheitlich denkenden Kindern und Jugendlichen.
Bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung
Heute geht der Trend in der Kindererziehung eher in Richtung bindungs- und bedürfnisorientierte Erziehung (Soft Parenting oder Attachment Parenting genannt). Dabei geht es vor allem darum, das Kind Kind sein zu lassen und seine Bedürfnisse zu akzeptieren.
Innerhalb dieser Kindererziehungsstile gibt es zahlreiche Strömungen und Varianten, die mehr oder weniger Freiraum für das Kind bieten. Ein Beispiel ist die Erziehung ohne Schreien. Alle gemein haben sie allerdings, dass die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes zentral stehen. Nicht die Vorstellungen der Eltern, „wie ein Kind sein muss“, sind wichtig, sondern es wird mehr auf die Persönlichkeit des Kindes eingegangen.
Warum ist Kindererziehung überhaupt wichtig?
Kinder sind nicht nur ein Spiegel von Erwachsenen, sie sind die Basis für die nächste Generation, für neue Ideen und gleichzeitig für unsere Traditionen. Daher ist es wichtig, dass Kinder und Jugendliche ab dem Babyalter an die jeweilige Gesellschaft, in die er oder sie hineingeboren werden, erfahren und kennenlernen. Dazu gehören nun mal auch bestimmte Verhaltensmuster und Regeln, die allerdings die Persönlichkeit des Kindes selbst nicht beschneiden sollten.
Nur so können unsere Kinder ihre eigene Gesellschaft akzeptieren, weltoffen gegenüber anderen Vorstellungen und Ansichten werden und trotzdem ihren Beitrag zu Veränderung mitgeben.
Was können wir als Eltern mitnehmen?
Kinder möchten kooperieren und dazugehören, so der Familientherapeut Jesper Juul aus Dänemark3. Dabei experimentieren sie und nehmen sich und die Umwelt wahr. Der Weg zu einer erfolgreichen Kindererziehung, die aus unserem Nachwuchs freundliche, verantwortungsbewusste und soziale Erwachsene macht, geht über das Erlernen von Rücksichtnahme. Der Therapeut sieht den Schlüssel zu einer gelungenen Erziehung darin, Gestaltungsfreiraum zu lassen.
Dabei ist für den Familientherapeuten folgendes wichtig:
- Eltern, die wirkliche Vorbilder sind und das, was sie vermitteln möchten, auch vorleben
- Gegenseitige Rücksichtname, insbesondere der Gefühle und Wünsche des anderen
- Freiräume in der Kindererziehung, sodass sich unsere Kleinen entfalten können
Sie als Eltern können Ihre Kinder dabei gezielt unterstützen, beispielsweise indem Sie ein Umfeld schaffe, das positiv ist. Sollten doch Probleme auftauchen, dann haben Sie ein offenes Ohr für Ihr Kind.
Sie interessieren sich für die Arbeit mit Kindern und möchten gezielt auf ihre Bedürfnisse eingehen? Dann absolvieren Sie unsere Ausbildung systemische Kinder- und Jugendberatung. Darin lernen Sie, aktiv zu helfen und Probleme innerhalb der unterschiedlichen Gefüge zu lösen. Sie sind eher kreativ unterwegs? Dann empfehlen wir unsere Kunsttherapie-Ausbildung in der Sie erfahren, wie Sie Kinder und Jugendliche dabei unterstützen können im kreativen Ausdruck zu heilen.
Fragen Sie statt „wie viel“ eher „welche Art“ von Kindererziehung benötigen Kinder
Es lässt sich also zusammenfassen, dass es irgendeine Form von Kindererziehung geben muss – allein schon, um unsere Kleinen für das Leben fit zu machen. Fragen Sie sich als Eltern beispielsweise, was Sie sich früher gewünscht hätten und starten Sie dort. Grundsätzlich gilt, egal welche Methode Sie auserwählen: Sie und Ihr Kind müssen sich mit Ihrer Kindererziehungsform wohl fühlen und Entwicklungsspielraum behalten.
Quelle1: focus.de
Quelle2: beiserhaus.de
Quelle3: experto.de