Wenn die Angst vor dem Versagen lähmt
Sie schalten am Morgen den PC ein, atmen tief durch. „Was soll schon passiert sein, seit gestern“, denken Sie sich. „Ganz ruhig“, doch gleichzeitig merken Sie, wie Ihre Hände wieder schwitzig werden. Schon meldet sich die Angst: Was, wenn das Projekt, das Sie gestern abgegeben haben, schlecht ist? Was, wenn Sie wieder nicht genug geleistet haben? Was, wenn Sie deswegen jetzt Ihren Job verlieren?
Immer mehr Menschen leiden heute unter Versagensängsten: Egal ob auf der Arbeit oder im Alltag, die Angst zu versagen lähmt, betäubt und legt im schlimmsten Fall jeden klaren Gedanken lahm. Nicht nur Erwachsene sind von der Angst zu versagen betroffen. Auch immer mehr Kinder und Jugendliche kämpfen mit diesem nicht richtig zu fassenden Lebensgefühl, das alles beeinflussen kann. Wie können Sie Versagensängste überwinden? Wann ist eine Angst eine Phobie bzw. eine Störung und ab wann sollten Sie sich professionelle Hilfe holen? Wir gehen der Sache auf den Grund.
Krisen wohin wir schauen
Wahrscheinlich können Sie dieses Wort auch nicht mehr hören: Krise. Spätestens seit dem Beginn der Corona-Pandemie schlittern wir von einer Krise in die nächste: Inflation, Ukraine-Krieg, Pandemie, Klimakrise, Energiekrise… die Liste lässt sich gut und gerne erweitern.
Was genau macht das mit uns? Dieser Frage geht die aktuelle Ausgabe der R+V-Langzeitstudie1 „Die Ängste der Deutschen“, die seit mehr als 30 Jahren Menschen regelmäßig befragt, nach. Das sind die Top 10 der Ängste in Deutschland, stand 2022:
- steigenden Lebenshaltungskosten (67 Prozent)
- nicht mehr zahlbaren Wohnungen (58 Prozent)
- die schlechtere Wirtschaftslage (52 Prozent)
- Steuererhöhungen/Leistungskürzungen durch Corona (52 Prozent)
- Kosten für Steuerzahler durch EU-Schuldenkrise (51Prozent)
- Naturkatastrophen/Wetterextreme (49 Prozent)
- Weltweit autoritäre Herrscher, die immer mächtiger werden (47 Prozent, neu seit 2022)
- Klimawandel (46 Prozent)
- Überforderung des Staats durch Geflüchtete (45 Prozent)
- Überforderung von Politiker*innen (44 Prozent)
Immer mehr dieser Probleme dringen tief in unseren Alltag ein und zielen auf die Angst zu Versagen ab, die Angst im Alltag nimmt zu.
Wer Angst davor hat, sich seine Wohnung oder seine Lebensmittel nicht mehr leisten zu können oder seinen Job aufgrund der schlechten Wirtschaftslage zu verlieren, hat unweigerlich Angst zu versagen. Keine gute Ausgangssituation, das Scheitern scheint unausweichlich zu sein.
Zwischen Antrieb und Lähmung
Generell ist Angst ein urmenschliches Gefühl, das uns wichtige Signale sendet und uns vermittelt: Achtung, Gefahr für Leib und Leben, sei vorsichtig. Unser Körper wird in Alarmbereitschaft versetzt und kann so kurzfristig effektiver arbeiten. Das war für unsere Vorfahren auch wichtig, denn so konnten Sie in prekären Situationen kurzfristig Spitzenleistungen erbringen.
Heute nimmt die Angst aber viel zu oft einen festen und großen Platz in unserem Leben ein: Wir möchten nicht versagen, egal wobei. Das liegt auch mit daran, dass unsere Leistungsgesellschaft Schwäche heute nicht mehr wirklich akzeptiert und der Druck stetig wächst. Besonders dann, wenn die Angst zu versagen überhandnimmt, Ihre Leben beherrscht, dann sollten Sie wachsam werden.
Versagensangst – ist das schon eine Angststörung?
Als Versagensangst definieren Expert*innen die Angst, Fehler zu machen – oft gründet sie auf übertriebenem Perfektionismus oder negativen Erfahrungen. Die Übergänge zwischen der Belastung durch Angst zu versagen und einer gravierenden Angststörung sind schwer zu fassen. Besonders Menschen, die nicht sehr resilient sind, sind öfter davon betroffen. Die Symptome von Versagensängsten sind nicht immer einfach zu erkennen, da sie sowohl psychisch als auch körperlich auftreten können. Psychische Symptome sind:
- Betroffene vermeiden Lebenssituationen, die sie potentiell Scheitern lassen
- Sozialer Rückzug ohne erkennbare Gründe
- Konzentrationsprobleme
- Gefühl wie in Watte gepackt zu sein
- Fluchtgedanken
- Denkblockaden bis hin zum mentalen Stillstand/Black out
- Prokrastinatio
Aber auch körperliche Symptome können bei der Angst zu versagen auftreten:
- Herzrasen
- Zittern
- Schweißausbrüche und Panik
- Schwindelattacken
- Muskelverspannungen
- Harndrang
- Kopf- und Bauchschmerzen
- Schlafprobleme
Wenn viele dieser Symptome auftreten und sie über einen längeren Zeitraum nicht abklingen, dann sind das Zeichen für eine tiefgreifende Angststörung .
Ab wann professionelle Hilfe bei Betroffenen von Versagensängsten?
Wenn Sie selbst oder jemand in Ihrer Umgebung von einer tiefgreifenden Angst zu versagen betroffen ist, dann sollten Sie sich unbedingt professionelle Hilfe beispielsweise bei einem/einer Psychotherapeut*in mit Ausbildung im Bereich Traumatherapie holen. Viele dieser tiefgreifenden Ängste basieren auf einem konkreten Erlebnis, einem Trauma. Dieses kann in der Regel nur mit professioneller Hilfe überwunden werden.
Angst zu versagen: Wie Sie sich selbst wieder Mut machen können
Wenn die Angst zu versagen sich noch nicht tiefgreifend manifestiert hat, dann können Sie selbst für sich Ihre Resilienz fördern. Das gelingt mit ein bisschen Überwindung und gegebenenfalls einer Hilfe von außen. Hier sind unsere drei Tipps gegen die Angst zu versagen:
1. Denken Sie Ihre Katastrophenphantasie zu Ende
…spielen Sie die Situation komplett zu Ende, in der Sie gravierende Angst vor dem Scheitern haben. Was kann Ihnen schlimmstenfalls passieren? Das ist der erste Schritt sich der Angst zu stellen und nicht klein bei zu geben. Welche Misserfolge erben sich daraus? Welche Folgen kommen auf Sie zu? Unsere Phantasien sind besonders bedrohlich, wenn sie im Ungewissen enden. Fassen Sie diese Situation also ganz klar und analysieren Sie.
2. Ziehen Sie Parallelen zu Ihrem bisherigen Leben
Mit Sicherheit sind Sie nicht nur einmal gescheitert in Ihrem bisherigen Leben. Überlegen Sie, welche ähnlichen Situationen Sie bereits erlebt haben und welche Konsequenzen diese hatten. Mit Sicherheit haben Sie bereits einige Dinge bewältigt, die vorher Angst zu versagen heraufbeschworen haben.
3. Erfolg vs. Misserfolg – wie stehen die Chancen
Schieben Sie die Angst zu versagen an den Rand und analysieren Sie ganz nüchtern: Wie hoch ist die Chance, dass Sie wirklich scheitern? Manchmal überschätzen wir diese. Und dann fragen Sie sich: Was würden Sie verpassen, wenn die Angst zu versagen Sie lähmt überhaupt loszugehen? Konzentrieren Sie sich dann auf diesen Gewinn und überlegen Sie, ob das das Risiko zu scheitern, wert ist. Misserfolge sind in vielen Fällen Teil des Erfolgs, da Sie daran wachsen – die Angst zu versagen steht Ihnen im Weg, sich überhaupt weiterzuentwickeln. „Ich habe Angst zu versagen“, sich das einzugestehen, ist bereits der erste Schritt in die richtige Richtung.
Quelle1: ruv.de