Fluch und Segen zugleich: Unsere Psyche im Zeitalter der Digitalisierung
Der Chef, der abends noch schnell eine E-Mail schickt und das unbestimmte Gefühl, das Leben der Freund*innen nur noch über Instagram mitzubekommen. Der erste Blick am Morgen fällt auf das Smartphone. Wir sind heute beinahe schon gesteuert vom Rhythmus der digitalen Parallelwelten – im Privaten und in der Arbeitswelt. Wer heute kein Facebook-Profil oder den Messenger-Dienst WhatsApp hat, der hat es schwer erreichbar zu sein und gehärt nicht so wirklich dazu.
Doch was genau macht die Digitalisierung eigentlich mit unserer menschlichen Psyche? Können wir mit dem technischen Fortschritt mithalten? Welche Risiken für unsere körperliche und mentale Gesundheit gibt es mit der voranschreitenden Digitalisierung? Welche Möglichkeiten gibt es, seinen eigenen Weg zu gehen und sich nicht in eine Welt zu begeben, die nur noch digital funktioniert? Welche Möglichkeiten haben wir, auch noch analog am Leben teilzuhaben und von unseren Familienmitgliedern, Bekannten- und Freundeskreis etwas mitzubekommen? Ist es möglich, sich im täglichen Arbeitsumfeld digitale Freiräume zu schaffen?
Wie sehr beeinflusst uns die digitale Welt?
Der Einfluss der Online -Welten auf unsere Psyche, ist grundsätzlich nicht von der Hand zu weisen. Forscher*innen gehen den Folgen dieser fundamentalen Veränderung auf unsere alltäglichen Abläufe daher bereits seit Längerem nach. Allen voran der Hirnforscher Prof. Manfred Spitzer, der mit seinem Buch „Digitale Demenz. Wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen“ schon 2015 Furore machte. Seine These: Unser menschliches Gehirn verliert durch die ständige Flut an Informationen an Leistungsfähigkeit. Bei Kindern wäre dieser Effekt sogar noch bedenklicher, schreibt er:
- Verminderung der Lernfähigkeit
- Abstumpfung gegenüber Empfindungen und Eindrücken
- Im schlimmsten Fall können Depressionen die Folge sein
Wissenschaftler*innen untersuchen die Auswirkungen, die die Digitalisierung und ganz besonders die Sozialen Medien auf uns und unsere Psyche haben. Studien gibt es mittlerweile zu ganz unterschiedlichen Bereichen:
- Nomophobie (No-Mobile-Phone-Phobie), die Angst ohne Handy zu sein
- Fobo, (Fear of being offline), die Angst davor, offline zu sein
- Wirkung von Internet-Komfortzonen auf Jugendliche, die direktes und auch negatives Feedback wie es im realen Leben vorkommt, nicht mehr kennen1
Zwischen Sucht und Nutzerverhalten
Interessant ist, so Prof. Dr. med. Bert te Wildt, Psychotherapeut und Medienwissenschaftler, dass der Zusammenhang zwischen Digitalisierung und der menschlichen Psyche immer zunächst unter dem Aspekt „Sucht“ untersucht wird: Internet- oder Online-Sucht bei Jugendlichen und Erwachsenen ist ein viel diskutiertes Thema. Seiner Meinung nach ist es allerdings wichtiger, auch außerhalb dieser Schubladen zu forschen, denn die Grenzen zwischen auffälligem Verhalten und einem Missbrauch seien fließend. Für ihn sind die alltäglichen Nutzerverhalten, die die Digitalisierung und speziell das Smartphone und Kommunikationsmedien uns allen auferlegen, viel dramatischer.
Wie oft greifen wir während der Autofahrt zum Handy? Wie viele Influencer*innen und Jugendliche kommen bei der Inszenierung des perfekten Bildes ums Leben? Warum ist die Hemmschwelle, online zu mobben deutlich niedriger? Mittlerweile gebe es mehr Autounfälle aufgrund von Handy-Nutzung am Steuer als durch alkoholisierte Fahrer. Diese kollektiven Verhaltensweisen seien deutlich gefährlicher und unkontrollierbarer, so der Forscher.
Dazu gehört auch das Phänomen, dass wir scheinbar alle Angst haben, etwas zu verpassen. Das Smartphone eröffnet das – in der Literatur schon vor Jahrhunderten herbeigesehnte „Fenster zur Welt“, ermöglicht eine Demokratisierung des Wissens, allerdings mit der Krux, dass sich online alles deutlich schneller bewegt. Dabei und mit den allgemeinen Veränderungen, die durch die Digitalisierung auf uns einprasseln, mitzuhalten – das wird schnell zur Heraus- und Überforderung.
Verschiebungen im Sozialen
Immer wieder heißt es, die Möglichkeiten der Digitalisierung bringen uns näher mit anderen Menschen zusammen – alles ist ja nur einen Klick entfernt. Aber stimmt das wirklich? Dazu sollten zwei Fakten betrachtet werden, so te Wildt:
- Unsere Interaktionen sind online vielfältiger, da es schlicht und ergreifend mehr soziale Kontakte sind als ohne das Internet.
- Allerdings sind diese Beziehungen dann deutlich kürzer und weniger intensiv als in einer Offline-Freundschaft.
Teilweise kommunizieren wir online auch gar nicht wirklich miteinander, sondern jeder sendet nur seine Message an die Empfänger*innen, so seine These. Die direkte, kurzlebige Resonanz der Online-Handlungen bestimmt den Wandel der Beziehungen2. Dieser Aspekt der Digitalisierung kann erheblichen Einfluss auf unsere Psyche haben.
Eine moderne, digitale Arbeitswelt, die uns krank macht?
Doch nicht nur in der individuellen Kommunikation verändert die Digitalisierung mit all ihren Aspekten unser Leben: Besonders in der Arbeitswelt spüren wir tagtäglich ihre Auswirkungen. Von vollkommen neuen Arbeitsfeldern und Berufssparten, was generell ja nichts Negatives ist,bis hin zu psychischen Belastungen durch immer schneller vorangetriebene Digitalisierungsbemühungen im Arbeitsmarkt. Überall erreichbar sein, das wird für viele Beschäftigten zur Herausforderung. Denn wer überall und ständig erreichbar ist, kann, im schlimmsten Fall, dauerhaft mit der Arbeit in Kontakt kommen. Die Auswirkungen werden unter anderem daran sichtbar, dass psychische Erkrankungen die meisten Fehltage in Unternehmen ausmachen.
Viele Arbeitnehmer*innen berichten immer wieder von folgenden Problemen für ihre Psyche, die mit der Digitalisierung in Verbindung gebracht werden können:
- Erschöpfung durch paralleles Arbeiten, Multitasking, und die Geschwindigkeit der Abläufe
- Konzentrationsschwierigkeiten
- Depressionen und Ängste, nicht das zu erreichen, was gefordert wird3
Manche Menschen, die dem Druck nicht mehr aus eigener Kraft standhalten können, greifen zu drastischen Methoden: Doping am Arbeitsplatz ist heute für manche Menschen das einzige Mittel, um diese Krise zu meistern. Die Belastungen können für Einzelne bis hin zum totalen Kollaps führen.
Möglichkeiten gegen die psychische Belastung der Digitalisierung vorzugehen
Unternehmen, die die Problematik bereits verstanden haben, setzten beispielsweise auf eine umfassende Gesundheitsförderung in Betrieben. Darin enthalten sind Maßnahmen, die Stress reduzieren und die viel gepriesene Work-Life-Balance wiederherstellen sollen. Coaches, die ein Seminar zur Betrieblichen Gesundheitsförderung absolviert haben, sind mittlerweile in der Arbeitswelt gern gesehen.
Doch auch Sie persönlich können etwas tun, um für sich selbst und für andere etwas Entschleunigung in den Alltag zu bringen und den Druck auf die Psyche zu reduzieren:
- Regelmäßiger Sport
- Klar definierte Freizeit (mit der Familie)
- Smartphone-Pausen, zum Beispiel an einem Tag oder zu bestimmten Zeiten
Besonders wichtig ist es, so Expert*innen, dass Sie sich selbst Ruhe-Zonen einrichten, sodass sich das Gehirn von der Reizüberflutung erholen kann. Behalten Sie dabei auch immer im Hinterkopf: Jeder entspannt anders – nur weil die Nachbarin beim Yoga Ruhe findet, muss das noch lange nichts für Sie sein.
Anderen helfen, zur Ruhe zu kommen
Immer mehr Menschen entscheiden sich aus der psychischen Belastung heraus, einen neuen Weg einzuschlagen. Wie wäre es zum Beispiel mit einer beruflichen Neuorientierung, bei der Sie auch noch andere unterstützen können? Mit einer Ausbildung zum Systemischen Fachcoach für Stressbewältigung und Burnoutprävention können Sie Ihren Mitmenschen ganz gezielt helfen, mit dem digitalen Alltag und anderen psychischen Herausforderungen besser umzugehen. Oder bilden Sie sich mit dem Seminar zur Einführung in das Mentaltraining und Coaching weiter. Egal ob im pädagogischen oder betrieblichen Bereich, Coaches sind heute gefragter denn je, wenn es darum geht die menschliche Psyche mit den Herausforderungen der Digitalisierung in Einklang zu bringen. Es ist Zeit für neue Lösungen, gerade auch im betrieblichen Gesundheitswesen.
Zwischen on- und offline: Die Balance macht‘s
Wir haben gesehen, die moderne Arbeitswelt und die Digitalisierung bringen immer wieder unterschiedliche Pro und Contras auf den Plan. Allerdings sollten wir uns selbst die Entscheidung nicht abnehmen lassen, wie wir mit den Herausforderungen der Digitalisierung an uns und unsere Psyche umgehen.
Wer es schafft, eine gute Balance zwischen online und offline und damit zwischen der Realität und der Internet-Welt zu erhalten, der wird wohl langfristig psychisch gesünder sein. Fluch oder Segen? Wir haben es ein Stück weit selbst in der Hand.
Quelle1: pharmazeutische-zeitung.de
Quelle2: vogue.de
Quelle3: tagesspiegel.de