Über Gefühle sprechen: Warum ist das so schwer?
Wer kennt das nicht: Der geliebte Mensch sagt einfach nichts, spricht nie über ihre oder seine Gefühle und auf die Frage „Alles ok?“ kommt ein kurzes „ja“. Egal, ob es um Beziehungen, in Familien oder innerhalb von Freundschaften geht – manchen Menschen fällt es einfach sehr schwer, über Gefühle zu sprechen. Warum das bei einigen Menschen so ist und wie wir lernen können, doch über unsere Emotionen zu sprechen oder wie es Ihnen gelingen kann, Ihr Gegenüber aus der Reserve zu locken, darüber wollen wir hier aufklären.
Wir können nicht nicht kommunizieren
Wir alle machen es ständig – egal ob Mensch oder Tier, wir sind ständig dabei zu sprechen, also zu kommunizieren. Das liegt daran, dass nicht nur verbalisierte Elemente wie die Sprache als Kommunikation gelten. Oftmals sind es die kleinen Gesten und Taten, die viel mehr aussagen als bloße Worte. Der Philosoph Paul Watzlawick beschreibt1 diese Tatsache in seinen 5 Grundsätzen der Kommunikation so: Man kann nicht nicht kommunizieren.
Zur Kommunikation des Menschen gehört mehr als nur das bloße gesprochene Wort. Vielmehr ist unsere Kommunikation von allen Ausdrücken geprägt, die wir mit unserem Körper „formulieren“ können:
- Gestik
- Mimik
- Allgemeine Körperhaltung
- Sprache
Verhalten ist laut Watzlawick also ein elementarer Teil von unserer Kommunikation – Selbst wenn wir nicht verbal über unsere Gefühle sprechen, drücken wir sie also unbewusst mit unserem Körper aus. Wir haben gewissermaßen kaum eine Chance, nicht über Gefühle zu kommunizieren.
Darum fällt es uns schwer, über Gefühle zu sprechen
Zwar kommunizieren wir unbewusst immer mit unseren Mitmenschen, allerdings ist der Schritt hin zu einem tatsächlichen Gespräch über unsere Emotionen und Bedürfnisse, egal ob mit dem oder der Partner*in oder innerhalb der Familie, oftmals nicht so leicht. Das hat unterschiedliche Gründe.
Ein sehr banaler Grund sind Pseudogefühle. Wir denken, dass wir bereits über unsere Gefühle sprechen – tun es aber genau betrachtet überhaupt nicht. Psycholog*innen sprechen davon, dass wir statt unserer wirklichen Gefühle eher einen Opferstatus zum Ausdruck bringen. Das gelingt uns durch einfache Passiv-Konstruktionen wie zum Beispiel „ich fühle mich ausgenutzt“. Das Ergebnis: Vorwürfe statt echter Gefühlsäußerungen.
Gefühle und Emotionen haben in der Gesellschaft keinen Stellenwert
Das klingt jetzt hart, allerdings ist es meist so, dass wir Menschen nicht über unsere Gefühle sprechen können, weil die Gesellschaft sie nicht Wert schätzt. Gefühle sind etwas für Weicheier, Gefühle sind nicht produktiv, Gefühle sind nebensächlich. Unsere moderne Leistungsgesellschaft legt heute mehr Wert auf eine vordergründige Work-Life-Balance als die tatsächlichen Gefühle des oder der Einzelnen. Über seine Gefühle zu sprechen, davor haben viele (vor allem Männer) schlichtweg Angst. Angst davor, dann aus einer Gruppe oder der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden. Wer seine Gefühle offen zeigt, der gilt schnell als
- Depressiv
- Hysterisch
- Cholerisch
- Hyperaktiv
Dazu kommt die Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen in unserer Gesellschaft. Wer möchte schon in so eine Schublade gesteckt werden – da ist es langfristig erstmal bequemer, nicht über seine Gefühle zu reden.
Gefühlsmäßig abgestumpft?
Um über Gefühle sprechen zu können, müssen wir uns ihnen erstmal bewusst sein. Was auf den ersten Blick beinahe banal klingt, ist auf den zweiten Blick ein echtes Problem. Viele Kinder bekommen die Fähigkeit, ihre Gefühle wahrzunehmen bereits früh abtrainiert. Sätze wie „Sei nicht so ängstlich/traurig/aggressiv“ fördern, dass wir uns selbst gar nicht mehr mit unseren Gefühlen beschäftigen. Mit dem Alter kommt dann die Selbstoptimierung, in der dieser Grundstein gefestigt wird. Wichtig ist es, gerade mit jungen Menschen in Kontakt zu kommen, sie wahrzunehmen mit Ihren Sorgen und Nöten und ihnen den nötigen Raum zu geben, damit sie sich als Teil der Gesellschaft verstehen lernen. Viele gerade auch schulischen Probleme haben ihre Ursache in fehlendem Verständnis und Zuwendung zum Kind oder Jugendlichen. Gerade in beratenden Einrichtungen oder im schulischen Umfeld ist die berufliche Qualifikation zum/zur Kinder- und Jugendpädagog*in sehr gefragt.
Irgendwie passt es nie über Gefühle zu sprechen
Kennen Sie das? Sie möchten sich endlich öffnen und über Ihre Gefühle sprechen, aber irgendwie passt es einfach nie. Egal ob das mit dem oder der Partner*in, innerhalb der Familie oder mit Freund*innen ist. Entweder kann das Gegenüber die Informationen nicht so aufnehmen, wie Sie das meinen oder Sie selbst haben das Gefühl, dass der perfekte Moment noch nicht gekommen ist.
Lernen über Gefühle zu reden
Die gute Nachricht: Ja, wir können lernen über unsere Gefühle zu sprechen und füreinander da zu sein. Die Grundvoraussetzung dafür ist, dass wir unsere Bedürfnisse äußern. Das heißt, wir müssen uns zunächst unseren Wünschen, Gefühlen und Bedürfnissen bewusst werden. Das bedarf einer gewissen Achtsamkeit gegenüber sich selbst. Übrigens: Gefühle können auch weh tun, dennoch ist es wichtig, dass wir durch sie hindurch gehen, um uns besser kennenzulernen.
Sind wir uns erstmal unserer Gefühle einigermaßen klar, dann sollten Sie sich mit Ihrem Partner*in oder der Person, mit der Sie über Ihre Gefühle reden wollen, in einem ruhigen Moment zusammensetzen. Machen Sie Ihrem Gegenüber deutlich, dass Sie von ihm oder ihr nichts weiter verlangen als das Zuhören. Wenn Sie vor diesem ruhigen Moment Angst haben, dann suchen Sie sich eine gemeinsame Aktivität wie einen Spaziergang, gemeinsamer Sport oder etwas anderes, was Ihnen Freiraum für Gespräche liefert.
Einfach loslegen
Der Sprung ins kalte Wasser kann eine Befreiung sein. Auch wenn Sie anfänglich Angst davor haben, über Ihre Gefühle zu sprechen, kann eine Überwindung guttun. Hierbei gibt es kein richtig oder falsch, wichtig ist, dass Sie erstmal überhaupt ins Reden kommen. Mit der Zeit und Wiederholungen fällt es Ihnen immer leichter, über Ihre Gefühle zu sprechen. Sind Ihre Hemmschwellen doch zu hoch, dann kann externe Hilfe geholt werden: Beispielsweise in der Familienpädagogik werden Probleme innerhalb der Familie oder auch in Paar- wie auch Einzelkonstellationen angesprochen und gemeinsam bearbeitet.
Fazit: Den Anfang machen und weitergehen
Schweigen ist Silber, Reden ist Gold. Dieser Spruch enthält besonders dann, wenn es darum geht, über seine Gefühle zu reden einen wahren Kern. Zwar fällt es uns oft nicht leicht, die eigenen Emotionen zu verbalisieren, aber wenn wir es erstmal getan haben, fühlen wir meist eine große Erleichterung. Daher: Wagen Sie es, über Ihre Gefühle zu sprechen, riskieren Sie es, den ersten Schritt zu machen, denn schließlich gehst es um Ihr Leben und Ihre emotionale Gesundheit.
Quelle1: paulwatzlawick.de