Soziale Vereinsamung in Krisensituationen: Was macht das mit uns und der Gesellschaft?
Soziale Vereinsamung, das trifft doch nur alte Menschen in Pflegeheimen, die keinen mehr haben, der sie besucht. Das war bis Anfang des Jahres 2020 wohl die Ansicht der meisten Menschen, wenn es um das Thema soziale Vereinsamung ging. Doch heute ist alles anders. Die aktuelle Corona-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen hat die Einsamkeit und die damit auftretenden Probleme in die Mitte der Gesellschaft gebracht.
Social Distancing, Home-Office und Veranstaltungsverbote – Corona ist mehr als nur eine Wirtschaftskrise. Sie ist besonders aufgrund der Verminderung von menschlichen Kontakten und Interaktionen in allen Lebensbereichen – was derzeit das einzige Mittel ist, um das Virus an der Ausbreitung zu hindern – zur gesamtgesellschaftlichen Krise geworden. Wie genau äußert sich soziale Vereinsamung? Welche Auswirkungen kann das Alleinsein auf den*die Einzelne*n haben? Und welche Möglichkeiten gibt es, in der Krise aus der Einsamkeit und Isolation herauszukommen?
Psychische Belastungen steigen für jeden Zweiten deutlich an
Die derzeitige Krise belastet Menschen quer durch alle Altersschichten hindurch. Die Forsa-Umfrage „Corona 2020“, die im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) im Mai durchgeführt wurde, fördert gerade die psychischen Belastungen zu Tage. So fühle sich beispielsweise jede*r zweite Befragte durch Corona und die Maßnahmen gestresst. Besonders ins Gewicht schlägt der fehlende oder eingeschränkte Kontakt zu Freund*innen und Familie und damit die Teilhabe an gesellschaftlicher Interaktion: 80 Prozent der Befragten gaben dies an. Direkt danach kam für die Befragten mit 57 Prozent die Angst vor einer Erkrankung von Freund*innen und Familienmitgliedern. Auch Kita- und Schulschließungen gaben jede*r zweite Befragte an (56 Prozent). Außerdem belastend:
- Angst vor dem Zusammenbruch der Wirtschaft mit 50 Prozent
- Der Arbeitsalltag ist stressiger als davor (38 Prozent)
- Einsamkeit und Langeweile (22 Prozent)
Auch für die Expert*innen überraschend: Jüngere Menschen sind offenbar stärker von der Situation betroffen. So gaben 38 Prozent der 18- bis 39-jährigen an, dass sie starke Probleme mit dem Status quo haben. Bei den über 60-jährigen, die zur Risikogruppe gehören, gaben nur 27 Prozent an, sich unwohler zu fühlen. Grund dafür ist, dass jüngere Menschen in ihrer Freizeit deutlich aktiver sind und dadurch von den Einschränkungen eher betroffen sind als Ältere, so Dr. David Horstmann, Psychologe bei der TK. Soziale Vereinsamung trifft also, nicht wie sonst immer angenommen, primär die ältere Bevölkerungsschicht, sondern wird vermehrt zum Risikofaktor für die gesamte Gesellschaft. Gerade deshalb sind die Zahlen umso erschreckender1.
Auswirkungen von sozialer Vereinsamung
Prof. Dr. Horst Opaschowski2, ein Hamburger Zukunftsforscher, warnt vor einem rapiden Anstieg von sozialer Vereinsamung in Krisenzeiten wie der Corona Pandemie. Die Auswirkungen von sozialer Vereinsamung durch die Kontaktarmut sind weitreichend und langfristig, das bestätigt auch der Präsident der Bundespsychotherapeutenkammer Dr. Dietrich Munz:
- Weniger Pflege von sozialen Kontakten heißt auch weniger Freund*innen/Kontakte
- Depressionen und Angststörungen sowie akute seelische Belastungsstörungen nehmen zu
- Gefahr von Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit steigt
- Zwangsstörungen und Psychosen belasten Menschen
Die Herausforderung ist also, für jeden Einzelnen und die Gesellschaft, Wege aus der sozialen Vereinsamung zu finden – oder es gar nicht erst dazu kommen lassen.
Tipps gegen die soziale Vereinsamung in Krisenzeiten
Sie selbst können bereits viel für sich und Ihre Mitmenschen tun, um ganz gezielt soziale Vereinsamung in Ihrem Umfeld zu vermeiden. Dazu gehören zum Beispiel ganz einfache Maßnahmen wie:
1. Alltag strukturieren: Zu einer bestimmten Zeit aufstehen, den Laptop einschalten und arbeiten oder einen gesamten Wochenplan aufstellen. Das alles hilft dabei, Ihren Alltag klar zu strukturieren. So kommen Sie weniger in Versuchung sich mit Ihren Gedanken allein zu lassen.
2. Aktiv bleiben: Treiben Sie Sport oder gehen Sie spazieren, um Stress abzubauen – dabei können Sie, je nach Vorschriften sich auch mit einem oder einer Freund*in verabreden. Es gibt auch viele Online-Sport Communities, die weit über den Sport hinausgehen und wo Sie in Foren Gleichgesinnte treffen können – so schlagen Sie zwei Fliegen mit einer Klappe: Den Bewegungsmangel und die soziale Vereinsamung.
3. Gesund ernähren: Wenn der Körper im Gleichgewicht ist, dann ist es auch der Geist – dieser Spruch ist nicht nur so daher gesagt. Gesunde Ernährung kann nachweislich dazu beitragen, dass Sie sich wohl in Ihrem Körper fühlen: Der Zusammenhang zwischen Ernährung und der psychischen sowie physischen Gesundheit ist Thema vieler wissenschaftlicher Untersuchungen.
4. Beziehungen anders pflegen: Vereinbaren Sie gemeinsame Mittagessen-Videocalls mit Kolleg*innen, um sich auszutauschen oder telefonieren Sie mit Ihren Familienmitgliedern regelmäßig. Klingeln Sie ruhig auch mal bei dem*r älteren Nachbar*in und fragen Sie – mit Abstand – ob Sie etwas für ihn oder sie tun können. Das hilft nicht nur dem Gegenüber, sondern auch Ihnen.
5. Neue Herausforderungen annehmen: Überlegen Sie mal, gibt es etwas, das Sie schon immer einmal anpacken wollten? Ein neues Hobby beginnen? Oder sich vielleicht beruflich verändern? Jetzt ist die Zeit dafür, beispielsweise bieten viele Ausbildungszentren und Einrichtungen wie campus naturalis Online-Schnupper-Workshops und Kurse an. Wie wäre es mit einer Ausbildung zum*r Mentaltrainer*in , um anderen dabei zu helfen, mit sich selbst ins Reine zu kommen? Machen Sie Ihre Berufung zum Beruf.
6. Hilfe annehmen: Wenn Sie selbst betroffen sind oder merken, dass ein*e Freund*in oder Ihre Verwandten mit der Situation überhaupt nicht mehr klarkommen und sich sozial komplett isolieren und in die Vereinsamung rutschen, dann holen Sie sich Rat bei Expert*innen. Die Telefonseelsorge ist ein guter Anfang oder der Gang zum*r Hausarzt oder Hausärztin oder Psychotherapeut*in. Wenn jemand aus Ihrem Umfeld auf Sie zukommt, dann scheuen Sie sich nicht, (Selbst)Hilfe bei psychischen Problemen und akuten Krisen anzunehmen.
Fazit: Soziale Vereinsamung durch Krisen verstärkt
Soziale Vereinsamung und die Folgen daraus sind nicht nur für die Gesellschaft fatal. Besonders für den oder die Einzelne*n kann sie schnell zur Falle werden und langfristig zu unterschiedlichen psychischen Erkrankungen und Störungen führen. Was tun also bei psychischen Krisen? Es ist wichtig,
präventiv zu handeln und für sich selbst zu sorgen. Bewegung, Kommunikation und die aktive Suche nach Kontakten und Strukturen helfen uns in Ausnahmesituationen wie der Corona-Krise Halt zu finden. Und wer weiß, vielleicht bietet Ihnen diese Krise ja die Chance, sich selbst neu zu erfinden und einen ganz anderen Weg einzuschlagen.